30.06.08

IM FITNESSCENTER

Mitte Dezember war ich beim Orthopäden, der mir ein Vorbeugungsprogramm – Rückentraining verschrieben hat, organisiert von der örtlichen AOK. Dort wurde ich auf Mitte Januar verwiesen, bis das Programm zusammengestellt wäre. Ende Januar bekam ich dann einen Termin für Ende Februar.
Das Programm besteht aus 2 Teilen:
- Ein Kurs aus 5 Stunden (3 Voraussetzung für die Teilnahme an Teil 2) in der Gruppe (ca. 12) in 5 Wochen
- Training an Geräten, Stretching usw. - individuell, 19 Einheiten in 3 Monaten, bei Programmerfüllung erhält man 25 € Kaution zurück.

In den Kursen wurde in der Regel zuerst Theoretisches behandelt (Rückgrat, Aufbau, Bandscheibenvorfall, richtige Haltung, Aufstehen, Sitzen, Gehen), dazu dann viele Übungen, die ich allerdings leider meistens vergessen habe, da sie jede Stunde wechselten.
Interessant welche Leute an dem Kurs beteiligt waren: 9 Frauen, 3 Männer. Alter ca. 25 bis 58. Manche waren sehr unbeweglich und korpulent, andere durch Schmerzen bewegungsreduziert, eine Dame mit Gummigelenken.

Dann das individuelle Fitnessprogramm: Ein Sportlehrer macht seine Diagnose und entwirft ca. 15 Übungen für ca. 1 bis 1½ Stunden. Bei mir ist das nach 10 Minuten Aufwärmung am Crosstrainer (mit Musik eine nette Sache, ich nehme Schuberts aufmunternden ersten Satz der 6. Sinfonie, echte Bewegungsmusik).
- Kletterwand
- Balanceübung auf wackligem Untergrund
- Bauchmuskelübungen auf der Matte
- Ähnliches mit großem Ball
- Stretching, mit verschiedenen Varianten
- Bauchmuskelübungen an zwei verschiedenen Geräten
- Oberkörper an einer Maschine
- Beine seitwärts bewegen an zwei Maschinen

Schön absurd, wenn ich bei den Cardiogeräten Menschen sehe, wie sie auf dem Laufband (mit Fernsehprogrammen vor sich) laufen, trotten oder in der Regel nur gehen. Phlegma scheint das größte Problem sein.
Ich finde das Programm und die Übungen nicht uninteressant, denke aber, dass die Problematik der Teilnehmer weniger in muskulären Defiziten als in psychischen Problemen besteht.
Spürbar war das etwa, als wir voneinander abgewandt im Kreis auf der Matte lagen und sich ein depressives Gefühl breitmachte, eine Lust, liegen zu bleiben und nicht mehr aufzustehen, etwas wie Trauer, Resignation und Verzweiflung. – Eine Teilnehmerin (in Rosa) beklagte sich, es wäre so traurig, man sollte doch mehr mit (fröhlicher) Musik arbeiten.
Wie man mit diesen Gefühlen umgehen soll, weiß ich nicht, aber Verleugnung durch Musik oder Muskelstärkung dürften da nur begrenzt helfen.
Jetzt habe ich innerhalb 3 Monaten alle 19 Stunden absolviert, aber nur einmal jemanden aus meinem Kurs getroffen. - ?? – Besonders wenige Leute waren im Center, wenn es schlecht Wetter ist. Bei schönem Wetter wurde fleißig auf dem Laufband gewalkt und alle 5 Minuten zur Flasche gegriffen.

24.06.08

WANDERWOCHENENDE ALB

Eigentlich wollte ich in dieser Gegend eine lange Laufrunde drehen, aber Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmittel ist schwierig, und die Kombination Rad – Laufen mir jetzt noch zu schwer. Also sind wir am Freitag mit dem Rad zu einem Zeltplatz gefahren und dann am Samstag eine Runde am Albrand mit seinen Einschnitten gewandert.
Durch Wimsen, Glastal, die Lauter, das Wolfstal, oberhalb der Donau, entlang der Braunsel - ein Fluss nur 920 Meter lang - insgesamt 36 km. Schweißtreibend auf und ab, über 600 Meter. Der Wechsel der Landschaften beeindruckend: Kalkfelsen, Höhlen, Wasserfälle, üppige Vegetation, großartige Ausblicke, intime Schluchten. Das Essen am Ende - neben dem Kloster - war miserabel, das Bier gut.
Vögel: Wachtel, Weihe, Milane, Bussarde, Falken, Reiher, Störche. Für Eisvogel und Biber an der Braunsel hat die Zeit nicht gereicht.

15.06.08

LAUFEN UND FLIESSBAND

Was hat Laufen mit Fließband zu tun?
Es gibt Kulturkritiker, die meinen, dass die Freizeit den Charakter der Arbeit annimmt und vom selben Leistungsdruck und der gleichen Konformität beherrscht wird wie die Arbeitsverhältnisse.
Am Fließband zieht die Zeit gleichförmig vorbei, besteht aus sich immer gleich wiederholenden Tätigkeiten. Die Zeit ist ein langer gleichmäßiger Strang, der sich unterteilt in Stunden, Minuten, Sekunden.
Wenn ich meine 12 km-Runde laufe und auf die Uhr schaue, sehe ich km 1: 5 Minuten, Kilometer 2: 10 Minuten. Problemlos schaffe ich die Kilometer sekundengenau zu laufen. Oder wenn ich trainiere, denke ich an einen anstehenden Marathon, denke an Kilometer 25, Kilometer 30, wo es endlich spannend wird. Bis dahin ist es leicht, stetig zu laufen. Es läuft wie am Band und ich laufe wie eine Maschine.
Das Laufband ist reine Zeit und Bewegung. Die Strecke ist die Immergleiche. Es wird nur dadurch erträglich, dass man sich seine übliche Laufstrecke vorstellt: jetzt bin ich da, es sind noch so und so viele Kilometer bis zum Ziel.
Als Arbeiter am Band rechne ich meine Arbeitszeit in Lohn um, rechne, wie viel ich noch zu arbeiten habe, wann Halbzeit ist usw. Irgendwann verschwindet die Arbeit aus dem Vordergrund des Bewussteins und die Gedanken gehen anderswohin, Fantasien tauchen auf. Der Körper stellt sich auf die Zeiten ein. Was am Anfang unerträglich war, wird zur erträglichen Gewohnheit.
Wie am Band ist die Lauftätigkeit auf die Dauer einfach. Im Laufe der Zeit liegt der Reiz in der Abwechslung, in der Beschleunigung. Er macht die leere Routine wieder interessant. Wie am Fließband ist beim Laufen der Kopf relativ frei. Die Gedanken gehen ihre eigenen Wege, werden assoziativ, verlieren die logische Strenge, die bei Diskussionen, Gesprächen, beim Schreiben verlangt wird. Die Gedanken gehen auf Abwege, verlaufen sich.
Aber anders als am Band, wo die Arbeit hauptsächlich dadurch erträglich ist, dass ein Ende durch die Freizeit absehbar ist, gewinnt das Laufen Sinn durch den Wechsel der Umgebung, den Wechseln der Natur, durch das Vorwärtsbewegen in der Landschaft, das Aufkommen von Fantasien.
Sinn und Antrieb kommen beim Laufen von innen. Wir sind es, die uns bewegen. Wir steuern das Tempo, bestimmen Anfang und Ende.

Ich bin noch nicht zufrieden mit dem, was ich geschrieben habe. Ich habe von Ähnlichkeiten und Unterschieden geschrieben. Aber gibt es eine Beziehung? Das Fließband ist das Resultat einer hoch organisierten Arbeitsteilung. Lässt sich das auf einen Läufer übertragen? Ist er Teil einer Arbeitsteilung?
Gut, sein Gehirn ist entlastet, die Bewegungen sind automatisiert. Oft geht Laufen mit „Abschalten“, zerstreutem und unkonzentrierten Denken einher. Das bedeutet, dass das Zentrum der Motivation außerhalb des Läuferbewusstseins ist: Er läuft, weiß aber nicht warum. Die tausend Gründe, die sich nennen ließen, überzeugen mich nicht, schon deswegen weil es so viele sind. Augenscheinlich sind es recht zwecklose („spielerische“) Bewegungen, manchmal mit Fantasien begleitet, Selbstgesprächen oder imaginären Gesprächen, Tagträumen und ähnlichem, Körpererfahrungen, vielleicht Landschafts- und Naturerlebnissen. – Aber so, wie der Kopf der Arbeitsorganisation außerhalb des einzelnen Teilarbeiters, so ist auch hier der Läufer nur funktionierender Teil von etwas außerhalb seines Bewusstseins. Mag er es Ritual, Zwang, Gewohnheit, Fitnesskult, Gesundheitskultur, Natur und Ähnliches nennen.
Jetzt muss ich doch, wenn ich das Laufen so mystifiziere, ein Gedicht von Juan Ramón Jiménez zitieren, das für mich beschreibt, wie der Mensch in seinem Leben nicht mit sich selbst identisch ist und sich deswegen bewegen muss:

Ich bin nicht ich.

Ich bin jener,
der an meiner Seite geht, ohne daß ich ihn erblicke,
den ich oft besuche,
und den ich oft vergesse.
Jener, der ruhig schweigt, wenn ich spreche,
der sanftmütig verzeiht, wenn ich hasse,
der umherschweift, wo ich nicht bin,
der aufrecht bleiben wird, wenn ich sterbe.

Vielleicht ist es eine Art „Körperseele“, die mich Laufen macht. Was das sein soll? Ich werde versuchen, das zu verstehen und ein andermal verständlich zu machen.

06.06.08

RHYTHMUS UND ZEIT

Laufen hat viel mit Rhythmus zu tun: links und rechts, auf und ab, fallen und abstoßen. Laufen ist viel mehr als Gehen mit dem Tanzen verwandt. Deswegen, weil diese Auf- und Ab-Bewegung betont wird. Aber anders als das Tanzen ist es beim Joggen gleichförmige Bewegung. Der Takt kommt auch von innen, dem Gehirn des Läufers, und nicht von der Musik außerhalb des Ohrs.
Die Urform der menschlichen Erfahrung von Zeit ist der Rhythmus: Tag – Nacht, der Wechsel der Jahreszeiten, der Herzschlag, das Ein- und Ausatmen. Das ist lebendige Zeit. Sie lebt von Wiederholungen in Kreis- oder Spiralbewegungen.
Die Uhr, mit der der Läufer seine Zeit misst, ist eine andere Form der Zeit. Obwohl die Urformen der gemessenen Zeit aus physikalischen Schwingungen besteht, ist ihre Idealform eine endlos lineare. Eine Art Linie, die endlos nach vorne geht. Sie ist nicht mehr an Lebendiges gebunden und – so zumindest unsere Vorstellung – existiert außerhalb von uns und ohne uns.
Die Uhrzeit macht den einzelnen Lauf mit anderen Läufen und anderen Läufern vergleichbar. Es ist wie eine Vorform der Geldform, die ja auch das „Inkommensurable kommensurabel“, also das Unvergleichliche vergleichbar macht. Wenn ich also mit der Uhr laufe – die Uhr ist auch ohne am Arm zu sein im Kopf immer da – bin ich ein soziales Wesen, einer der sich mit anderen vergleicht. Ich nehme an, dass wir erst als sozial durchorganisierte und zeitdisziplinierte Wesen auf die Idee des Joggens kommen. Das Ideal dabei ist die Maschine. Sie läuft stetig, konstant und verlässlich, ohne Launen und Zicken. (Zeigt aber eine Maschine solche Launen und Zicken, werden wir wütend auf sie und behandeln sie wie einen Menschen.)
Ich nehme an, dass die Idee des Dauerlaufs mit dem Aufkommen und der Bewunderung für Maschinen zu tun hat. Eine Maschine aber ist seelenlos und wesenlos. Sie besteht aus verschiedenen Teilen, die man austauschen kann, und dient einem bestimmten Zweck. Einen eigenen Willen soll sie nicht haben.
Aber zurück zur Zeit. Ein Läufer mit Uhr bewegt sich in der linearen Zeit, also auf einer endlosen Zeitlinie. [Ewigkeit hat man sich so als endlos vorgestellt. Seit der Relativitätstheorie ist Zeit nichts mehr Absolutes – sondern endlich. In den „schwarzen Löchern“ etwa gibt es keine Zeit mehr.]
Dagegen die rhythmische, „lebendige“ Zeitvorstellung. Ob das aber noch Joggen ist?