06.06.08

RHYTHMUS UND ZEIT

Laufen hat viel mit Rhythmus zu tun: links und rechts, auf und ab, fallen und abstoßen. Laufen ist viel mehr als Gehen mit dem Tanzen verwandt. Deswegen, weil diese Auf- und Ab-Bewegung betont wird. Aber anders als das Tanzen ist es beim Joggen gleichförmige Bewegung. Der Takt kommt auch von innen, dem Gehirn des Läufers, und nicht von der Musik außerhalb des Ohrs.
Die Urform der menschlichen Erfahrung von Zeit ist der Rhythmus: Tag – Nacht, der Wechsel der Jahreszeiten, der Herzschlag, das Ein- und Ausatmen. Das ist lebendige Zeit. Sie lebt von Wiederholungen in Kreis- oder Spiralbewegungen.
Die Uhr, mit der der Läufer seine Zeit misst, ist eine andere Form der Zeit. Obwohl die Urformen der gemessenen Zeit aus physikalischen Schwingungen besteht, ist ihre Idealform eine endlos lineare. Eine Art Linie, die endlos nach vorne geht. Sie ist nicht mehr an Lebendiges gebunden und – so zumindest unsere Vorstellung – existiert außerhalb von uns und ohne uns.
Die Uhrzeit macht den einzelnen Lauf mit anderen Läufen und anderen Läufern vergleichbar. Es ist wie eine Vorform der Geldform, die ja auch das „Inkommensurable kommensurabel“, also das Unvergleichliche vergleichbar macht. Wenn ich also mit der Uhr laufe – die Uhr ist auch ohne am Arm zu sein im Kopf immer da – bin ich ein soziales Wesen, einer der sich mit anderen vergleicht. Ich nehme an, dass wir erst als sozial durchorganisierte und zeitdisziplinierte Wesen auf die Idee des Joggens kommen. Das Ideal dabei ist die Maschine. Sie läuft stetig, konstant und verlässlich, ohne Launen und Zicken. (Zeigt aber eine Maschine solche Launen und Zicken, werden wir wütend auf sie und behandeln sie wie einen Menschen.)
Ich nehme an, dass die Idee des Dauerlaufs mit dem Aufkommen und der Bewunderung für Maschinen zu tun hat. Eine Maschine aber ist seelenlos und wesenlos. Sie besteht aus verschiedenen Teilen, die man austauschen kann, und dient einem bestimmten Zweck. Einen eigenen Willen soll sie nicht haben.
Aber zurück zur Zeit. Ein Läufer mit Uhr bewegt sich in der linearen Zeit, also auf einer endlosen Zeitlinie. [Ewigkeit hat man sich so als endlos vorgestellt. Seit der Relativitätstheorie ist Zeit nichts mehr Absolutes – sondern endlich. In den „schwarzen Löchern“ etwa gibt es keine Zeit mehr.]
Dagegen die rhythmische, „lebendige“ Zeitvorstellung. Ob das aber noch Joggen ist?

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