26.01.09

ZURÜCK

Nach dem Sturz vor einer Woche brauchte ich erstmal drei Tage, um meinen Blues zu überwinden. Ich saß da und starrte mit leerem Kopf gedankenlos ins Zimmer. Der Zahnarzt reparierte den Zahn, die Wunden begannen zu heilen und ich bekam wieder Lust zu laufen.
Der erste Lauf war gleich zu lang. Der Körper fühlte sich schwer an. Ich wollte nachholen, was ich versäumt hatte und das war ein Fehler. Gleich meldete sich mein malträtierter Strecker, unter den Gebildeten auch Adduktor genannt, wieder und nahm mir die Tour übel. Aber am nächsten Tag schaffte ich es wieder nicht, meine Lauflust zu bremsen. Diesmal mit weniger schmerzhaften Nachfolgen. Doch die Unvernunft siegte auch am nächsten Tag.
Und gestern wollte ich endlich wieder einen langen Lauf machen. Es wurden auch flotte 22 km – ein Teil der Strecke durch den vereisten Feuerbachtobel – schöner Name – immer bergauf und bergab. Aber mein Adduktor dankte es mir nicht.
Heute Morgen wollte ich bei dem schönkalten Winterwetter – Sonnenaufgang und so … - gleich wieder losspringen. Das Fleisch war mehr als willig, aber der Geist war dann noch stärker. Stattdessen hat der Adduktor einige Streicheleinheiten bekommen und sich strecken und räkeln dürfen.

18.01.09

STURZ AUF EIS

Gestern beim langen Lauf, in einer scharfen Rechtskurve, knallt es mich blitzartig auf den Boden. So schnell, dass ich mich nicht einmal mit den Händen auffangen kann. Mit dem Kopf auf den glatten Beton auf Nase und Mund. Einer der im Sommer 07 gebrochenen Zähne wieder abgebrochen.
Heute verzichte ich auf Laufen. An allen Ecken Schmerzen. Oberlippe und Nase rüsselartig geschwollen. Unruhige Nacht.
Weiß nicht, wie ich die Sache einordnen soll. Soll ich es lustig finden oder traurig, dass es mich wieder erwischt hat? Froh, dass es nicht schlimmer ausgegangen ist oder ärgerlich darüber, was passiert ist?
Wie auch immer - ändern kann ich es nicht.
Dabei war der Lauf vorher so gut, durch Eis und Nebel, entlang an vereisten Bächen, geheimnisvollen Vogelrufen.

13.01.09

WIE ES LÄUFT

Die Weihnachtszeit hat Gelegenheit geboten, etwas mehr zu laufen. Das kalte trockene Wetter war ideal. Ein bisschen mehr Sonne hätte ich mir doch gewünscht. Aber ich konnte einige Kilometerchen sammeln.
Zum alten Problem der Strecker kommt jetzt aber noch der Blasentrakt dazu, wenn auch schmerzfrei. Wenn es nicht besser wird, muss ich einige Zeit aussetzen. Vielleicht Rad fahren.
Derzeit spanne ich den Bogen für die zwei Bergläufe. Das bedeutet nicht nur Kilometer sammeln, sondern vor allem Höhenmeter. Etwas schwierig in unserem nur leicht hügeligen Gelände. Um 100 Meter hochzukommen, muss ich schon 4 km laufen. Vorgestern habe ich auf 22,5 km gerade mal 420 Höhenmeter zusammen bekommen. Und es soll (erst mal) das Sechsfache werden.
Der heutige Lauf sollte nur 15 km werden. Dunkle Nebel wallten, aber alles war von Rauhreif bedeckt. Es sah verzaubert aus. Immer wieder blendete ich Erinnerungsbilder von der Landschaft im Sommer in diese schwarz-weiße Landschaft hinein.
Dann bei km 7 am Horizont Himmelsblau. Die Sonne kam zwischen den Nebeln durch und brachte das Weiß im Blau zum Strahlen. Also musste ich noch eine Extrarunde laufen. Und dann wollte ich doch noch sehen, wie es 100 Meter höher aussah. Und am Schluss waren es 20,5 km bei -6° in 5:24 /km. Aber auch nur wieder 140 Höhenmeter.
Nix mit „Höher, weiter, schneller …“

06.01.09

„Genuss und Askese in der Leistungsgesellschaft“

Der Essay von Svenja Flaßpöhler über Genuss und Askese in der Leistungsgesellschaft im Deutschlandfunk fährt grobe Geschütze gegen den

„Trend zur Entsagung … wie er sich ausdrückt in Fitness-Studios, Wellness-Centern oder beim Endlos-Jogging“

auf: Marathontote, Schuldkomplexe, eine Stampede in einem Kaufhaus, überdrehte Werbesprüche, dunkle Benjaminzitate. Ein Schlagwort jagt das andere, Sportsucht, Magersucht, Geiz, Habgier. Was ist der Kern? Es gibt nach ihr eine dialektische Verflechtung von Askese und Habgier, Genussunfähigkeit wegen Schuldgefühlen. In der Askese

„genießt auch beispielsweise der Sportsüchtige, auch er will sich spüren, will in Ekstase geraten, sich vergessen im Rausch - man denke nur an den Marathonläufer, der wie von Sinnen und bis zum Umfallen erschöpft über die Ziellinie taumelt.“

„Sein Opfer indes bringt der Läufer durchaus mit einer gewissen Befriedigung dar - so, als stünde seine Leistung im Dienste von etwas Höherem, das ihm die Qual stillschweigend abverlangt und sie am Ende belohnen wird. Wie hatten wir vorhin gesagt? Der Sportler verausgabt sich, als ginge es um den Eintritt ins Himmelsreich. Der Verzicht-Genießer ist dieses Eintritts in der Tat insofern würdig, als er sich nicht, wie normalerweise durchs Genießen, Schuld auflädt, sondern ganz im Gegenteil Schuld abbaut.“

Das ist die alte Leier, von dem katholischen Chefarzt Lütz begonnen, von dem Konsumfetischisten Bolz übernommen: der Läufer hat einen Schuldkomplex. Sein Pfarrer hat zuviel über Erbsünde geredet. Flaßpöhler packt da noch die Finanzkrise mit drauf. Derart, dass das Wirtschaftssystem nur über die immer größere Verschuldung läuft, die von den Arbeitern abgearbeitet, abgelaufen werden muss.
Das ist natürlich nur Geschwätz. Was sagt uns Schuldgefühl über die Wirklichkeit angesichts der Tatsache, dass Massenmörder mit gutem Gefühl sehr alt werden, ihre Opfer aber darunter leiden, überlebt zu haben?
Mag auch Schuldgefühl den Läufer motivieren – seine Völlerei wie jetzt zur Fresszeit abzulaufen – so ist die Sache doch komplexer, individueller und durch solche Schlagwörter nicht begreifbar. Schon gar nicht trifft das uns Läufer im Inneren. Etwa so, dass wir uns nun endlich selbst verstehen und auf das Erlebnis des Laufens verzichten können oder müssen.
Dabei ist der Versuch von Flaßpöhler, die Dialektik von Genuss und Askese zu begreifen, nicht unfruchtbar. Etwa wenn sie sich in ihrem Genussbegriff an den Babys orientiert:


„Sie stecken sich alles, was in ihre Reichweite kommt, in den Mund und lutschen, schmecken, schlecken, um die Welt zu erkunden.“


Oder auffordert, die Gier auszuleben, denn

„ein tiefes Eintauchen in das Wesen der Dinge ist allein … dem Gierigen vorbehalten“.


Aber „Endlosjoggen“ ist auf der einen Seite vielleicht Überwindung von Widerständen, Trägheit, Müdigkeit, Unlust usw. – also „Verzicht“ – andererseits doch eine intensivere und erweiterte Erfahrung von Natur, von eigenem Körper, von Welt – also Bereicherung. Für diese Erfahrung ist allerdings eigene Bewegung notwendig; man kann sie nicht kaufen oder eintauschen.
Das ist aber nicht das Ideal der Kritikerin. Es ist nur „Wohlfühlgenuss“ - asozial.


„Mit einem Genuss im ursprünglichen Sinne, das heißt mit Rausch, Selbstverlust, Grenzauflösung und damit einhergehend, gemeinschaftlicher Vereinigung, hat ein solcher Wohlfühlgenuss ganz offensichtlich nichts mehr zu tun. Wohlfühlgenuss bedeutet vielmehr das gerade Gegenteil, nämlich Selbstkontrolle, Abgrenzung, Individuation und, damit einhergehend, Vereinsamung.“

Diese Diagnose hat einiges für sich, kann Irrwege beschreiben, trifft aber nicht den Kern der Läuferei.
In ihrem Genussbegriff ist sie fixiert auf den Genuss eines Objekts, so sehr, dass sie sogar die „gemeinschaftliche Vereinigung“ darunter einbezieht. Schon darin wenn nicht falsch doch mindestens unvollständig – weil es sich um soziale Beziehungen handelt – kann sie Laufen nur negativ als Vereinsamung begreifen. Abgesehen davon, dass das eine das andere nicht ausschließt, was soll daran so böse sein? Nur weil es dem herrschenden „Wertgesetz“ nicht entspricht? Die Freiheit und Unabhängigkeit von anderen Menschen, die sich im Laufen erfahren lässt, das Erfahren neuer Räume, die Hinausgehen über des sozial fixierten Selbst, die Unabhängigkeit vom Warenkonsum, was ist daran so schlimm?? Sportsucht - meinetwegen, aber sollte man nicht das Bedürfnis dahinter ernst nehmen, akzeptieren und richtig realisieren? Es muss sich nicht in dieser zerstörerischen und unproduktiven Form abspielen, die zwischen den Extremen von Gier, Größensucht und Selbstbestrafung hin und herschwankt.

Schreibt sie etwa aus eigener Erfahrung, wenn sie sagt, wir hätten


„uns angewöhnt, nach getaner Arbeit lieber noch eine Runde joggen zu gehen, zum Zwecke körperlicher Ertüchtigung und seelischen Ausgleichs, was gut tut nach einem harten Bürotag.“


Nein, es ist der Pluralis despectabilis, der Ton der Verächtlichkeit, in dem der Pfarrer von seinen Sündern spricht.

Was S.F. nicht begreift, ist der Wirklichkeits- und Autonomieverlust, der in der heutigen Welt stattfindet. Wir befinden uns auf unsicherem Boden, befinden uns in Abhängigkeiten, in immer eingeschränkteren Verhältnissen. Was nach Erfahrung eigener Relativität durch Schule, Arbeit, Politik, Wirtschaft, der Enteignung des Körpers durch die Arbeit noch bleibt ist dieser fragile Körper und seine Beziehung zur Erde, ein bisschen Freiheit in frischer Luft und freier Natur. Der Versuch angesichts dieser Bevormundungen durch soziale Umwelt und Medien („Deutschland“radio…) ein Gefühl eigener Autonomie zu finden.
Wie das gelingen kann, ist eine andere Frage.


Aber warum dieses Vorurteil gegen Sport? Warum ist für S.V.


„die Sportsucht längst zu einer ernst zunehmenden Zivilisationskrankheit avanciert. In Deutschland ist immerhin jeder Hundertste sportsüchtig.“?


Warum sind nicht die 33% oder mehr Couch-Potatoes ein „ernst zu nehmendes“ Problem? (Die Zahlen hole ich aus der gleichen Luft wie S.F.)
Madonna trainiert 4 Stunden - ihre Fans sicher nicht. Die Massen sitzen vor dem TV und glotzen Elitensport – kein Problem? Während ich „endlosjogge“, jagen Tausende von Fahrzeugen auf der naheliegenden Schnellstraße. Was verbrenne ich, was verbrennen sie? No problem.
Es gäbe also ernster zu nehmende Probleme, mit der sich eine Gesellschaftskritikerin auseinandersetzen könnte. Warum ist aber die Fitnessbewegung, kleine Minderheit, Ziel ihrer Kritik? Ich vermute folgende Gründe:
- die Fitnessbewegung ist Teil der gesellschaftlichen Konkurrenz, löst deswegen Konkurrenzängste aus, sozialen Neid gegenüber denen, die leichtfüßig davonlaufen - Haken schlagend. Die vorwiegend Sitzenden fühlen ihre Schwerfälligkeit und Schwäche, ihre Überlegenheit fühlt sich in Frage gestellt
- soziales Mobbing gehört zur Taktik der Herrschenden; mit der Ausgrenzung von Minderheiten sichern sie sich ihre Privilegien, den Genuss ohne körperliche Anstrengung
- die Abneigung gegenüber körperlicher Anstrengung liegt eine Abwertung von Arbeit und Arbeitern zugrunde – edel ist, wer den Teller nicht leer zu essen braucht. Wer Teures kauft, ist mehr wert. Die Elite braucht sich nicht zu bewegen, sie spricht und schreibt: Befehle.