31.12.08

JAHR 2008



Gerade bin ich die letzten 8,1 km gerannt, um die 2850 zu komplettieren. Natürlich mehr als die 1651 vom letzten Jahr, als mich das Ischias zurückschlug.
Einiges Neues habe ich versucht. Einmal mein Laufen in Gedanken zu verfolgen, dann die kleinen Ultras. So richtig ist es mir noch nicht gelungen.
Für das nächste Jahr stehen zwei große Bergläufe auf dem Programm. Nach diesen Exzessen ist Besinnung angesagt.
Der Blog wird privater und radikaler werden. Ich werde mich mehr mit dem gesellschaftlichen Denkmilieu der Laufbewegung beschäftigen. Einige andere Laufblogs habe ich Quarantäne gesetzt, bis ich gelassener mit ihnen umgehen kann. Derzeit bin ich nur negativ darauf fixiert.
Damit es ein schönes Bildchen gibt, oben die Km-Kurve von 2008.


Meinen wenigen Lesern wünsche ich ein gutes neues Jahr.

26.12.08

RAUHNACHT: WOTANS WÜTENDES HEER

Auf dem Bild die heruntergerissenen Äste vom nächtlich heulenden Sturm. Klar: wir sind in den Rauhnächten. Es ist die Zeit, in der das Mondjahr vom Sonnenjahr abweicht, die Zeit, in der kosmische Unordnung herrscht, die Geister freien Ausgang haben und als Wotans wütendes Heer mit Lärm über den Himmel ziehen. Gute Jahre kündigen sich mit schönen Tönen an, aber dazu wird das nächste wohl nicht gehören.
Im Wallis übrigens wird gesagt, dass nun die toten Seelen der einst eingewanderten Alemannen wieder nordwärts zu ihrem Ursprungsland ans Meer ziehen. (Wohl die Ostsee, historisch korrekter wäre das Gebiet zwischen Elbe und Saale).
Unheil? Bei meinem 20 km Lauf über Berg und Tal finde ich eine heruntergerissene kleine Mistel. Kleines Glück.

23.12.08

Laufen im Dezember

Der Schnee ist wieder weggeschmolzen. Aber jetzt ist alles nass und feucht. Die Natur hat jetzt überwiegend braune und schwarze Töne. Die Bäche und Flüsse sind gelb und braun, angeschwollen, reißend. Die Füße tappen durch Dreck und über Pfützen.
Ich laufe weniger aus Lust, mehr aus Disziplin und Gewohnheit. Erwarte keine Entdeckungen. Aber die Nässe hat auch ihren Reiz und Charakter. Krähen und Dohlen passen zu der Landschaft. Die Maulwürfe waren übereifrig, der Bauer wird sich ärgern.
So sammle ich ein paar Kilometer und Steigungen. Irgendwas wird es schon nützen. Vielleicht läuft es sich dann im nächsten Jahr leichter.

17.12.08

LAUFEN IM SCHNEE

Seit einiger Zeit läuft es wieder. Die Langläufe der letzten Monate haben sich doch mehr ausgewirkt, als ich gedacht habe. Zuletzt eine kurze aber heftige Grippe. Zuerst habe ich es mit mehr kurzen Läufen versucht, war schon über 50 die Woche, dann eine kurze aber heftige Grippe. Heute mal wieder ein längerer Lauf, 19,5 km aber doch mit ~300 m Steigung.

Diese Strecke habe ich deswegen gewählt, weil ich mich auf die Bergstrecken für nächstes Jahr vorbereiten will, auch weil ich da so gut wie niemand treffe. Diesmal war es nur ein Wanderer.

Zuerst 4 km mit dem Rad, also in alter Jacke. Dann ~150 Meter hoch. Heute habe ich mir vorgenommen, meditativ zu laufen, also ohne Tempozwang, ohne auf die Uhr zu schauen, mich nicht in Gedanken zu verlieren und mich in ihren Kreislauf verwickeln zu lassen. Mich einfach auf das Atmen, vor allem das vollständige Ausatmen konzentrieren.

Das klappt natürlich nicht. Ständig gerate ich in Gedanken an dies und jenes. Da sind die Blogs, die ich mal gelesen habe, da ist das, was ich schreiben will usw. usf. Ich habe aber gehört, dass das üblich ist. Die Buddhisten nennen es das Affengeschnatter des Gehirns. Man solle nur am Ball bleiben und seine Gedanken wieder zurückrufen. Also versuche ich die Gedanken wieder abzubrechen. Prompt fängt die nächste innere Rede an. Also wieder zurück zum Atmen, und so geht das weiter.

So mit mir selbst beschäftigt, mit dem Einfangen der Gedanken, kann ich die winterliche Landschaft – es hat nachts wieder mal geschneit – gar nicht so richtig wahrnehmen. Sicher ließe sie sich jetzt gut loben und romantisieren. Aber ich bleibe nüchtern. Mir fehlen die Farben. Alles ist doch nur schwarz und weiß und grau. Ach ja, da ist noch ein wenig Pastellblau am Himmel. Aber eigentlich interessiert es mich nicht. Lenkt mich nur ab, genauso wie die vielen Tierspuren. Katzen, Hunde, Hasen, Rehe, Dachse? Fuchsspuren sehe ich nicht.

Kindheitserinnerungen an Weihnachten auf dem Land. Kalte Stube mit Weihnachtsbaum. War für mich eine fundamentale und wichtige Erinnerung. Aber heute kommt es mir wie ein Klischee vor, das etwas anderes und Unangenehmes verdeckt.

Überhaupt, was soll dieser ganze Schneekitsch? Was soll daran schön sein? Weihnachten, das Haben- und Fressfest. Oder die Sonnenwende, nach der wieder das gute Leben mit seinen Farben, mit Wärme anfängt. Aber davon spüren die Menschen heute in ihren gut beleuchteten und klimatisierten Räumen doch nichts mehr.

Nach 12 km wird es langweilig. Die Seen sind zugefroren. Die meisten Wege sind von Traktoren befahren worden, also gut zu belaufen. Direkt über Wiesen und Äcker zu laufen ist zwar etwas anstrengend aber nicht zu schwierig. Am Ende doch wieder Schmerzen am Knöchel, macht mir schon länger Sorgen.

Bevor es wieder ins Tal geht, noch schöne Ausblicke, die als Bilder vor dem Einschlafen wieder auftauchen könnten.

Wieder beim Rad steigt gerade die Frau aus dem Bus, die bei meinem Start auf den Bus gewartet hat.

13.12.08

WARUM NATURBESCHREIBUNGEN LANGWEILEN

Begeisterte Berichte von Läufern über ihre Naturerlebnisse, sei es Häslein, Rehlein oder Blümelein, langweilen mich in der Regel. Ähnlich ist es bei Diavorträgen von Bekannten über ihre Reisen. Ich frage mich, warum das so ist und bin bei mir auf diese Antworten gekommen
- da war der Deutschunterricht. Die Lesebücher, die ich in meinem kindlichen und jugendlichen Lesehunger verschlungen habe, waren voll mit diesen Kunstwerken. Von den Hunderten von Seiten hat sich bei mir nur eine Geschichte aus der wohl zweiten Klasse eingeprägt: „
Der kleine Häwelmann“. Als ich das Buch nach 45 Jahren in einer Bibliothek wiederfinde, stelle ich fest, dass darin Th. Storm der einzige nennenswerte Autor ist. Seine Geschichte hat noch heute einen fantastischen Pep.
- Die Naturidealisierung im Deutschunterricht der Nachkriegszeit ging konform mit der Verdrängung einer entsetzlichen Geschichte und der Verdrängung einer hässlichen Realität, der vollständigen Unterwerfung der Natur unter ökonomische Prinzipien. Es war eine Lüge, so wie die Bauernhofidyllen, die man heute in den Kindergärten und in der Kinderbuchliteratur findet.
- Erlöst hat mich von dieser Lesebuchlügenliteratur die Schreibe von Alfred Döblin. Zuerst „Die Ermordung einer Butterblume“, dann natürlich sein „Alexanderplatz“.
- Wenn Hegel die Natur als „geistlos“ ansieht und die Naturtümelei seiner Umgebung ablehnt, hat er insoweit Recht, als für uns Menschen die Natur erst durch ihre Aneignung über die „Kultivierung“ oder „Eroberung“, Wahrnehmung und Begehung zum Teil von uns wird und vorher nur sinnlose Wüste ist.
- Natur wird erst durch die individuelle Aneignung im Wandern, Laufen, Erleben zur bedeutungsvollen Natur. Das ist aber nicht ohne weiteres mitteilbar. Es löst natürlicherweise bei einem anderen Menschen ohne diese aktive Aneignung nur Langeweile aus.
- Größer und umfassender als der Hegelsche Geist, der der Natur nur negativ gegenübersteht, ist die menschliche Seele. Sie kann sich auf die Natur projizieren und sich in ihr wiedererkennen. Etwa ihr Wunsch nach Größe und Grenzenlosigkeit in einer weiten Landschaft, die Aufgewühltheit der Gefühle im stürmischen Meer, das Gefühl der Ausweglosigkeit in einer düsteren Umgebung.
- Aber – die menschliche Seele ist vielfältiger, komplexer als diese Bilder der Natur, in denen sie sich wiederfinden mag. Deswegen ist auch der seelische Kern des Laufens mehr als das Erlebnis von dem bisschen Natur - ohnehin schon domestiziert und zurechtgetrampelt - mehr als Kindergartenpädagogik und Lesebuchstruktur von Frühling, Sommer, Herbst und Winter.

Interessant dagegen – das mag eine männliche Wahrnehmung sein – finde ich in Läuferblogs die Beschreibung von Wagnissen, die Läufer eingehen. Etwa wenn einer vorhat, einen Marathon in einer bestimmten Zeit zu laufen, oder einer sich eine lange Strecke vornimmt. Dann kann ich mitfiebern, schafft sie oder er es, oder nicht, warum nicht usw. - Anders als bei den Deutschaufsätzen der Klassenprimi.

09.12.08

LAUFZWANG IM KOLLEKTIV

Laufen hat etwas mit Freiheit und Befreiung zu tun. Raus an die freie Luft, in die freie Natur. Die Gedanken sollen sich frei bewegen dürfen. Die Schwerkraft soll nicht herunterziehen, sondern für kurze Momente befreit man sich von ihr, um sich dann wieder (lustvoll?) fallen zu lassen. Doch als ob die Freiheit genauso die Angst hervorrufen würde, wird das Laufen wieder in Zwänge gepackt. Laufen wird zum Muss. Da mögen die Versprechungen von ewigem Leben, strahlender Gesundheit, fittem Körper, oder die Ängste vor Krankheit, Verfettung, Leistungsverfall sein. Es muss gelaufen werden. Dieser Laufzwang, eine wie beschrieben missglückte Form der Autonomie, braucht Rationalisierungen. Rationalisierungen sind Gründe, die jemand als Motive benennt, die sich recht vernünftig anhören: Gesundheit, Freude, die aber andere „irrationale“ Motive verdecken: Wut, Kampf, Dominanzstreben, Eitelkeit, die notorische Beschäftigung mit dem eigenen Selbst usw. Der Laufzwang lebt von Wahrheiten, Prinzipien, Grundsätzen, Dogmen. Sie müssen oft litaneiartig, serienartig aneinandergereiht werden. Kreislauf, Wiederkehr des Immergleichen.
So wie bei mir oft die Gedanken beim Laufen. Auch ich bin vom Zwang befallen. Aber will daraus ausbrechen. Deswegen manchmal meine Versuche von neuen Landschaftsläufen.
Die Wiederholung bietet Stabilität, vermittelt Geborgenheit und Sicherheit. Und lenkt von etwas ab, was unterhalb brodelt.
Laufzwang als missglückte Form der Autonomie bedeutet, dass ich etwas machen muss, von einem Trieb beherrscht werde. Also muss ich in mich gehen, nachforschen, was mich da antreibt. Das bedeutet: sich erfahren, seine Erfahrungen und Gefühle wahrnehmen.
Solange dem Laufzwang kollektiv gehuldigt wird, wird diese Selbsterfahrung ausgeblendet. Alles läuft ja so wunderbar. Man orientiert sich dann an Vorbildern, Trainingsplänen, an der Konkurrenz. Mit Glück und Fleiß wird man zum alten Hasen, der es den anderen zeigen kann. Das ist ein gutes Gefühl. Die Hunde, die hinter dem Hasen hinterher hecheln, wollen nun auch Hasen werden. Ihr Leben wird nun auch vom Laufzwang beherrscht, hat einen Sinn bekommen. Dass sie sich sinnlos im Kreis drehen, wird ihnen nicht in den Kopf kommen. Sie bilden eine Gemeinschaft von Gläubigen, die Zweifel ablehnen, die eigene Erfahrung unterdrücken mit affirmativen Statements.
Dieser Imperativ zum Glücklichsein ist ein Haupthindernis für die Erfahrung. Ausnahmsweise zitiere ich einen Zenmönch, Olaf Nölke alias Abt Muho in Japan, dessen Erfahrungen ich ernster nehme. Er meint: „Die Unzufriedenheit die wir spüren – ich glaube das ist eine biologische Notwendigkeit dass wir als Menschen unzufrieden sind. Aber wir verstärken diese Unzufriedenheit dadurch, dass wir glauben, wir müssten eigentlich zufrieden sein, wir müssten eigentlich glücklich sein.“ (In
SWR2 Leben). Diese Aussage ist natürlich ein Trick des Zen: Die Anerkennung des Unglücks soll das Glück erzeugen. - So meine ich es nicht. Es mag schon existenzielle Gründe für das Unglück geben, aber zuerst sollen die individuellen bewusst werden.
Nicht unsympathisch ist mir der
SchlechteLauneBlogger, selbstironisch, tolerant gegenüber den eigenen Schwächen. Nix dominus, asper, rex, vincere, corona etc. - Mir fehlt leider diese Selbsttoleranz, bin härter zu mir als wohl andere zu mir(?).