13.12.08

WARUM NATURBESCHREIBUNGEN LANGWEILEN

Begeisterte Berichte von Läufern über ihre Naturerlebnisse, sei es Häslein, Rehlein oder Blümelein, langweilen mich in der Regel. Ähnlich ist es bei Diavorträgen von Bekannten über ihre Reisen. Ich frage mich, warum das so ist und bin bei mir auf diese Antworten gekommen
- da war der Deutschunterricht. Die Lesebücher, die ich in meinem kindlichen und jugendlichen Lesehunger verschlungen habe, waren voll mit diesen Kunstwerken. Von den Hunderten von Seiten hat sich bei mir nur eine Geschichte aus der wohl zweiten Klasse eingeprägt: „
Der kleine Häwelmann“. Als ich das Buch nach 45 Jahren in einer Bibliothek wiederfinde, stelle ich fest, dass darin Th. Storm der einzige nennenswerte Autor ist. Seine Geschichte hat noch heute einen fantastischen Pep.
- Die Naturidealisierung im Deutschunterricht der Nachkriegszeit ging konform mit der Verdrängung einer entsetzlichen Geschichte und der Verdrängung einer hässlichen Realität, der vollständigen Unterwerfung der Natur unter ökonomische Prinzipien. Es war eine Lüge, so wie die Bauernhofidyllen, die man heute in den Kindergärten und in der Kinderbuchliteratur findet.
- Erlöst hat mich von dieser Lesebuchlügenliteratur die Schreibe von Alfred Döblin. Zuerst „Die Ermordung einer Butterblume“, dann natürlich sein „Alexanderplatz“.
- Wenn Hegel die Natur als „geistlos“ ansieht und die Naturtümelei seiner Umgebung ablehnt, hat er insoweit Recht, als für uns Menschen die Natur erst durch ihre Aneignung über die „Kultivierung“ oder „Eroberung“, Wahrnehmung und Begehung zum Teil von uns wird und vorher nur sinnlose Wüste ist.
- Natur wird erst durch die individuelle Aneignung im Wandern, Laufen, Erleben zur bedeutungsvollen Natur. Das ist aber nicht ohne weiteres mitteilbar. Es löst natürlicherweise bei einem anderen Menschen ohne diese aktive Aneignung nur Langeweile aus.
- Größer und umfassender als der Hegelsche Geist, der der Natur nur negativ gegenübersteht, ist die menschliche Seele. Sie kann sich auf die Natur projizieren und sich in ihr wiedererkennen. Etwa ihr Wunsch nach Größe und Grenzenlosigkeit in einer weiten Landschaft, die Aufgewühltheit der Gefühle im stürmischen Meer, das Gefühl der Ausweglosigkeit in einer düsteren Umgebung.
- Aber – die menschliche Seele ist vielfältiger, komplexer als diese Bilder der Natur, in denen sie sich wiederfinden mag. Deswegen ist auch der seelische Kern des Laufens mehr als das Erlebnis von dem bisschen Natur - ohnehin schon domestiziert und zurechtgetrampelt - mehr als Kindergartenpädagogik und Lesebuchstruktur von Frühling, Sommer, Herbst und Winter.

Interessant dagegen – das mag eine männliche Wahrnehmung sein – finde ich in Läuferblogs die Beschreibung von Wagnissen, die Läufer eingehen. Etwa wenn einer vorhat, einen Marathon in einer bestimmten Zeit zu laufen, oder einer sich eine lange Strecke vornimmt. Dann kann ich mitfiebern, schafft sie oder er es, oder nicht, warum nicht usw. - Anders als bei den Deutschaufsätzen der Klassenprimi.

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