31.12.08

JAHR 2008



Gerade bin ich die letzten 8,1 km gerannt, um die 2850 zu komplettieren. Natürlich mehr als die 1651 vom letzten Jahr, als mich das Ischias zurückschlug.
Einiges Neues habe ich versucht. Einmal mein Laufen in Gedanken zu verfolgen, dann die kleinen Ultras. So richtig ist es mir noch nicht gelungen.
Für das nächste Jahr stehen zwei große Bergläufe auf dem Programm. Nach diesen Exzessen ist Besinnung angesagt.
Der Blog wird privater und radikaler werden. Ich werde mich mehr mit dem gesellschaftlichen Denkmilieu der Laufbewegung beschäftigen. Einige andere Laufblogs habe ich Quarantäne gesetzt, bis ich gelassener mit ihnen umgehen kann. Derzeit bin ich nur negativ darauf fixiert.
Damit es ein schönes Bildchen gibt, oben die Km-Kurve von 2008.


Meinen wenigen Lesern wünsche ich ein gutes neues Jahr.

26.12.08

RAUHNACHT: WOTANS WÜTENDES HEER

Auf dem Bild die heruntergerissenen Äste vom nächtlich heulenden Sturm. Klar: wir sind in den Rauhnächten. Es ist die Zeit, in der das Mondjahr vom Sonnenjahr abweicht, die Zeit, in der kosmische Unordnung herrscht, die Geister freien Ausgang haben und als Wotans wütendes Heer mit Lärm über den Himmel ziehen. Gute Jahre kündigen sich mit schönen Tönen an, aber dazu wird das nächste wohl nicht gehören.
Im Wallis übrigens wird gesagt, dass nun die toten Seelen der einst eingewanderten Alemannen wieder nordwärts zu ihrem Ursprungsland ans Meer ziehen. (Wohl die Ostsee, historisch korrekter wäre das Gebiet zwischen Elbe und Saale).
Unheil? Bei meinem 20 km Lauf über Berg und Tal finde ich eine heruntergerissene kleine Mistel. Kleines Glück.

23.12.08

Laufen im Dezember

Der Schnee ist wieder weggeschmolzen. Aber jetzt ist alles nass und feucht. Die Natur hat jetzt überwiegend braune und schwarze Töne. Die Bäche und Flüsse sind gelb und braun, angeschwollen, reißend. Die Füße tappen durch Dreck und über Pfützen.
Ich laufe weniger aus Lust, mehr aus Disziplin und Gewohnheit. Erwarte keine Entdeckungen. Aber die Nässe hat auch ihren Reiz und Charakter. Krähen und Dohlen passen zu der Landschaft. Die Maulwürfe waren übereifrig, der Bauer wird sich ärgern.
So sammle ich ein paar Kilometer und Steigungen. Irgendwas wird es schon nützen. Vielleicht läuft es sich dann im nächsten Jahr leichter.

17.12.08

LAUFEN IM SCHNEE

Seit einiger Zeit läuft es wieder. Die Langläufe der letzten Monate haben sich doch mehr ausgewirkt, als ich gedacht habe. Zuletzt eine kurze aber heftige Grippe. Zuerst habe ich es mit mehr kurzen Läufen versucht, war schon über 50 die Woche, dann eine kurze aber heftige Grippe. Heute mal wieder ein längerer Lauf, 19,5 km aber doch mit ~300 m Steigung.

Diese Strecke habe ich deswegen gewählt, weil ich mich auf die Bergstrecken für nächstes Jahr vorbereiten will, auch weil ich da so gut wie niemand treffe. Diesmal war es nur ein Wanderer.

Zuerst 4 km mit dem Rad, also in alter Jacke. Dann ~150 Meter hoch. Heute habe ich mir vorgenommen, meditativ zu laufen, also ohne Tempozwang, ohne auf die Uhr zu schauen, mich nicht in Gedanken zu verlieren und mich in ihren Kreislauf verwickeln zu lassen. Mich einfach auf das Atmen, vor allem das vollständige Ausatmen konzentrieren.

Das klappt natürlich nicht. Ständig gerate ich in Gedanken an dies und jenes. Da sind die Blogs, die ich mal gelesen habe, da ist das, was ich schreiben will usw. usf. Ich habe aber gehört, dass das üblich ist. Die Buddhisten nennen es das Affengeschnatter des Gehirns. Man solle nur am Ball bleiben und seine Gedanken wieder zurückrufen. Also versuche ich die Gedanken wieder abzubrechen. Prompt fängt die nächste innere Rede an. Also wieder zurück zum Atmen, und so geht das weiter.

So mit mir selbst beschäftigt, mit dem Einfangen der Gedanken, kann ich die winterliche Landschaft – es hat nachts wieder mal geschneit – gar nicht so richtig wahrnehmen. Sicher ließe sie sich jetzt gut loben und romantisieren. Aber ich bleibe nüchtern. Mir fehlen die Farben. Alles ist doch nur schwarz und weiß und grau. Ach ja, da ist noch ein wenig Pastellblau am Himmel. Aber eigentlich interessiert es mich nicht. Lenkt mich nur ab, genauso wie die vielen Tierspuren. Katzen, Hunde, Hasen, Rehe, Dachse? Fuchsspuren sehe ich nicht.

Kindheitserinnerungen an Weihnachten auf dem Land. Kalte Stube mit Weihnachtsbaum. War für mich eine fundamentale und wichtige Erinnerung. Aber heute kommt es mir wie ein Klischee vor, das etwas anderes und Unangenehmes verdeckt.

Überhaupt, was soll dieser ganze Schneekitsch? Was soll daran schön sein? Weihnachten, das Haben- und Fressfest. Oder die Sonnenwende, nach der wieder das gute Leben mit seinen Farben, mit Wärme anfängt. Aber davon spüren die Menschen heute in ihren gut beleuchteten und klimatisierten Räumen doch nichts mehr.

Nach 12 km wird es langweilig. Die Seen sind zugefroren. Die meisten Wege sind von Traktoren befahren worden, also gut zu belaufen. Direkt über Wiesen und Äcker zu laufen ist zwar etwas anstrengend aber nicht zu schwierig. Am Ende doch wieder Schmerzen am Knöchel, macht mir schon länger Sorgen.

Bevor es wieder ins Tal geht, noch schöne Ausblicke, die als Bilder vor dem Einschlafen wieder auftauchen könnten.

Wieder beim Rad steigt gerade die Frau aus dem Bus, die bei meinem Start auf den Bus gewartet hat.

13.12.08

WARUM NATURBESCHREIBUNGEN LANGWEILEN

Begeisterte Berichte von Läufern über ihre Naturerlebnisse, sei es Häslein, Rehlein oder Blümelein, langweilen mich in der Regel. Ähnlich ist es bei Diavorträgen von Bekannten über ihre Reisen. Ich frage mich, warum das so ist und bin bei mir auf diese Antworten gekommen
- da war der Deutschunterricht. Die Lesebücher, die ich in meinem kindlichen und jugendlichen Lesehunger verschlungen habe, waren voll mit diesen Kunstwerken. Von den Hunderten von Seiten hat sich bei mir nur eine Geschichte aus der wohl zweiten Klasse eingeprägt: „
Der kleine Häwelmann“. Als ich das Buch nach 45 Jahren in einer Bibliothek wiederfinde, stelle ich fest, dass darin Th. Storm der einzige nennenswerte Autor ist. Seine Geschichte hat noch heute einen fantastischen Pep.
- Die Naturidealisierung im Deutschunterricht der Nachkriegszeit ging konform mit der Verdrängung einer entsetzlichen Geschichte und der Verdrängung einer hässlichen Realität, der vollständigen Unterwerfung der Natur unter ökonomische Prinzipien. Es war eine Lüge, so wie die Bauernhofidyllen, die man heute in den Kindergärten und in der Kinderbuchliteratur findet.
- Erlöst hat mich von dieser Lesebuchlügenliteratur die Schreibe von Alfred Döblin. Zuerst „Die Ermordung einer Butterblume“, dann natürlich sein „Alexanderplatz“.
- Wenn Hegel die Natur als „geistlos“ ansieht und die Naturtümelei seiner Umgebung ablehnt, hat er insoweit Recht, als für uns Menschen die Natur erst durch ihre Aneignung über die „Kultivierung“ oder „Eroberung“, Wahrnehmung und Begehung zum Teil von uns wird und vorher nur sinnlose Wüste ist.
- Natur wird erst durch die individuelle Aneignung im Wandern, Laufen, Erleben zur bedeutungsvollen Natur. Das ist aber nicht ohne weiteres mitteilbar. Es löst natürlicherweise bei einem anderen Menschen ohne diese aktive Aneignung nur Langeweile aus.
- Größer und umfassender als der Hegelsche Geist, der der Natur nur negativ gegenübersteht, ist die menschliche Seele. Sie kann sich auf die Natur projizieren und sich in ihr wiedererkennen. Etwa ihr Wunsch nach Größe und Grenzenlosigkeit in einer weiten Landschaft, die Aufgewühltheit der Gefühle im stürmischen Meer, das Gefühl der Ausweglosigkeit in einer düsteren Umgebung.
- Aber – die menschliche Seele ist vielfältiger, komplexer als diese Bilder der Natur, in denen sie sich wiederfinden mag. Deswegen ist auch der seelische Kern des Laufens mehr als das Erlebnis von dem bisschen Natur - ohnehin schon domestiziert und zurechtgetrampelt - mehr als Kindergartenpädagogik und Lesebuchstruktur von Frühling, Sommer, Herbst und Winter.

Interessant dagegen – das mag eine männliche Wahrnehmung sein – finde ich in Läuferblogs die Beschreibung von Wagnissen, die Läufer eingehen. Etwa wenn einer vorhat, einen Marathon in einer bestimmten Zeit zu laufen, oder einer sich eine lange Strecke vornimmt. Dann kann ich mitfiebern, schafft sie oder er es, oder nicht, warum nicht usw. - Anders als bei den Deutschaufsätzen der Klassenprimi.

09.12.08

LAUFZWANG IM KOLLEKTIV

Laufen hat etwas mit Freiheit und Befreiung zu tun. Raus an die freie Luft, in die freie Natur. Die Gedanken sollen sich frei bewegen dürfen. Die Schwerkraft soll nicht herunterziehen, sondern für kurze Momente befreit man sich von ihr, um sich dann wieder (lustvoll?) fallen zu lassen. Doch als ob die Freiheit genauso die Angst hervorrufen würde, wird das Laufen wieder in Zwänge gepackt. Laufen wird zum Muss. Da mögen die Versprechungen von ewigem Leben, strahlender Gesundheit, fittem Körper, oder die Ängste vor Krankheit, Verfettung, Leistungsverfall sein. Es muss gelaufen werden. Dieser Laufzwang, eine wie beschrieben missglückte Form der Autonomie, braucht Rationalisierungen. Rationalisierungen sind Gründe, die jemand als Motive benennt, die sich recht vernünftig anhören: Gesundheit, Freude, die aber andere „irrationale“ Motive verdecken: Wut, Kampf, Dominanzstreben, Eitelkeit, die notorische Beschäftigung mit dem eigenen Selbst usw. Der Laufzwang lebt von Wahrheiten, Prinzipien, Grundsätzen, Dogmen. Sie müssen oft litaneiartig, serienartig aneinandergereiht werden. Kreislauf, Wiederkehr des Immergleichen.
So wie bei mir oft die Gedanken beim Laufen. Auch ich bin vom Zwang befallen. Aber will daraus ausbrechen. Deswegen manchmal meine Versuche von neuen Landschaftsläufen.
Die Wiederholung bietet Stabilität, vermittelt Geborgenheit und Sicherheit. Und lenkt von etwas ab, was unterhalb brodelt.
Laufzwang als missglückte Form der Autonomie bedeutet, dass ich etwas machen muss, von einem Trieb beherrscht werde. Also muss ich in mich gehen, nachforschen, was mich da antreibt. Das bedeutet: sich erfahren, seine Erfahrungen und Gefühle wahrnehmen.
Solange dem Laufzwang kollektiv gehuldigt wird, wird diese Selbsterfahrung ausgeblendet. Alles läuft ja so wunderbar. Man orientiert sich dann an Vorbildern, Trainingsplänen, an der Konkurrenz. Mit Glück und Fleiß wird man zum alten Hasen, der es den anderen zeigen kann. Das ist ein gutes Gefühl. Die Hunde, die hinter dem Hasen hinterher hecheln, wollen nun auch Hasen werden. Ihr Leben wird nun auch vom Laufzwang beherrscht, hat einen Sinn bekommen. Dass sie sich sinnlos im Kreis drehen, wird ihnen nicht in den Kopf kommen. Sie bilden eine Gemeinschaft von Gläubigen, die Zweifel ablehnen, die eigene Erfahrung unterdrücken mit affirmativen Statements.
Dieser Imperativ zum Glücklichsein ist ein Haupthindernis für die Erfahrung. Ausnahmsweise zitiere ich einen Zenmönch, Olaf Nölke alias Abt Muho in Japan, dessen Erfahrungen ich ernster nehme. Er meint: „Die Unzufriedenheit die wir spüren – ich glaube das ist eine biologische Notwendigkeit dass wir als Menschen unzufrieden sind. Aber wir verstärken diese Unzufriedenheit dadurch, dass wir glauben, wir müssten eigentlich zufrieden sein, wir müssten eigentlich glücklich sein.“ (In
SWR2 Leben). Diese Aussage ist natürlich ein Trick des Zen: Die Anerkennung des Unglücks soll das Glück erzeugen. - So meine ich es nicht. Es mag schon existenzielle Gründe für das Unglück geben, aber zuerst sollen die individuellen bewusst werden.
Nicht unsympathisch ist mir der
SchlechteLauneBlogger, selbstironisch, tolerant gegenüber den eigenen Schwächen. Nix dominus, asper, rex, vincere, corona etc. - Mir fehlt leider diese Selbsttoleranz, bin härter zu mir als wohl andere zu mir(?).

30.11.08

LAUFEN MACHT KEINEN SPAß

Warum laufe ich trotzdem?

Antworten, die ich bis jetzt gefunden habe:

- ich will fit sein und beweglich bleiben - aber verliere dabei viel Energie
für andere und oft dringendere Aktivitäten.
- ich muss mich bewegen, Zappelphilippsyndrom? Zwang? Ich komm nicht dahinter.
- Es gibt gesundheitliche Gründe, aber auch solche, die dagegen sprechen.
- Es ist eine Angeberei; wer läuft, zeigt sich anderen überlegen und erzwingt sich ihren Respekt. Und beweist seine Bedürftigkeit nach Anerkennung von anderen.
- Exhibitionismus: schaut mal, was ich drauf habe.
- Sadomasochismus: Sadismus: ich bin anderen überlegen. Masochismus: Ich muss leiden, weil ich nicht gut genug bin.
- Ich brauche körperliche Erfahrung. Das befreit mich von schlechten Gedanken. Aber die wirken jetzt im Hintergrund.
- Ein guter Lauf kompensiert für soziale Bedeutungslosigkeit
- Die freie Landschaft ist mein Raum. Aber in Wirklichkeit ist sie ein Geflecht von Äckern, Baumplantagen und Straßen. Natur ist nur noch ein Rest, eine Art Müll der ökonomischen Verwertung.
- Ich fühle mich frei beim Laufen. Die Gedanken haben Ausgang, - um sich dann aber im Kreis zu drehen.
- Beim Laufen bin ich bei mir selber. Rhythmus von Beinen, Herzschlag und Atmen. Am Ende bin ich aber doch wieder der alte.
- Die körperliche Bewegung konfrontiert mich mit meinem eigenen Körper. Ich erlebe Phasen von Hochstimmung und überkomme damit vielleicht ein basales Gefühl der Niedergeschlagenheit. Ich bin im Zentrum meiner Sinne. - Gedanken und äußere Wahrnehmungen sind sekundär.
- Ich gehe in Natur auf und sondere mich von der Gesellschaft ab.
- Ich lerne Landschaft kennen, ihr Relief, etwas von ihrer Geschichte, die Gefälle, in denen sich das Wasser bewegt, die Steigungen und Tobel, wo sich noch ein wenig wilde Natur erhalten hat – aber in der Regel trotte ich in der Ebene.
- Ich tauche in das Leben der Generationen vor uns ein, die noch zu Fuß gegangen sind und in die große Welt derer, die heute noch zu Fuß gehen.
- Der landschaftliche Raum ist etwas, was ein individuelles Leben überdauert, ist der Ort einer langen Geschichte von Pflanzen, Tieren und Menschen. Wenn ich mich darin bewege, teilt sich mir etwas davon mit. Konstanz in der Bewegung.
- Laufen kann ein symbiotisches Lebensgefühl in einem narzisstischen Gefühlsfludium vermitteln. Es reicht vom bewussten Läuferstolz und Hochgefühlen über Erlebnisse von Einklang mit der Landschaft und Natur, dem Gefühl von „flow“, dem Erlebnis von Befriedigung durch den Rhythmus des Laufens bis hin zum vorsprachlichen Erlebnis von Abwesenheit, sei es in Zwang, Sucht oder Ekstase. Manchmal ein Erlebnis von „Dauer“, das Nichtenden der Zeit in einem positiven Sinne.

27.11.08

ÜBERLEGUNGEN

Derzeit überlege ich mir für nächstes Jahr einige größeren Laufprojekte, einen 65 km langen gebirgigen Marathon und einen über 82 km mit 4 Bergen. Ich will mich nicht in Abenteuer stürzen, sondern die Läufe gut vorbereitet angehen. Es soll nicht in Leiden und Abbruch ausarten, darf aber anstrengend und im Verlauf nicht zu Hundert Prozent berechenbar sein.
Schon die Planung ist aufregend. Kartenstudium, Berechnungen, Einholen aller möglichen Informationen: Wo kann ich einkaufen, wie ist das mit dem Übernachten, wie bereite ich mich auf die Kälte vor, wie organisiere ich das Training, reduziere die Ausrüstung auf ein Minimum, usw.
Der letzte lange Lauf hat mich mehr erschöpft als gedacht. Am Sonntag in windiger Kälte (-3°, Windstärke 5) anstrengende 23,6 Kilometer in 2h13min. Zwar war das Wetter schön, ich aber steif und eingefroren. Außerdem eine Menge von Walkern und Spaziergängern, die sich in „meiner“ Landschaft bewegen.
Am Montag dann Herpes, Zeichen für eine Grenze. Gestern eine Zerrung in der Kaumuskulatur. ….kälte. Nach dem Laufen Schmerzen da und dort. Wenn ich dann noch von die Begeisterungsausbrüche mancher Laufblogger lese, bin ich ganz genervt und werde empfindlich gegenüber Euphorikern. Muss wohl mir irgendwas Motivierendes einfallen lassen. Etwa derart: die Zellen von Ausdauersportlern wären
um 10 Jahre jünger. Hört sich an wie die Lüge von Youngforever. Hat eine andere Untersuchung festgestellt, ein BMI von 24 wäre ideal für die, die lange leben wollen. (Die drunter würden vornehmlich an „Erkrankungen der Atmungsorgane“ sterben - ?? Sind damit die ausgezehrten Raucher gemeint oder die keuchenden Runner?)

16.11.08

LAUFKATER

War nach den 63 km mit zu rechnen. Körperlich ging es ja. Nur ein paar Wehwehchen, eine am Knöchel, wie üblich die Strecker. Am schlimmsten ein großer blauer Fleck auf dem Rücken vom Rucksack. Ich werde mir da was einfallen lassen müssen. – Aber da waren noch andere Symptome: Keine Lust auf Sonne, freie Natur. Dann ein mieses Selbstgefühl, das ich aus meiner Vorläuferzeit kenne; nämlich die Gedanken an all die Sachen, die ich nicht geschafft habe oder was ich falsch gemacht habe.
Vielleicht verdränge ich durch das Laufen dieses normalerweise in mir nagende und fressende negative Lebensgefühl.
Dabei war meine schlechte Laune weniger Ausdruck der Schwäche als der damit erworbenen Kraft, den Tatsachen etwas in die Augen zu sehen. Na ja, - wenigstens für ein paar Tage.
Schon am übernächsten Tag flotte 8 km. Und gestern bin ich mit dem Rad noch einmal die ganze Strecke abgefahren, um sie genauer abzumessen, leider waren es nur 63 Laufkilometer, insgesamt 125. Aber auch hier wieder diese merkwürdige Mischung von Sonnenschein und üblem Gestank nach Gülle und Schweinemist.
Aber schon wieder Pläne für das nächste Abenteuer: 55 jeweils für Hin und Her mit dem Rad und dazu noch 33 km laufen in bergigem Gelände. Am besten in Raureif und Nebel, winterlich düster.



08.11.08

Projekt 63 - no fun

Nach dem Marathon, den 45 und 57 km habe ich mich vorbereitet genug gefühlt, einen richtig langen Lauf zu machen. Das Problem war nur, dass ich, um an den Ort zu kommen, wohin ich wollte, zuerst mal 31 km mit dem Rad fahren musste.
Also bei 7° los, locker auf die Wasserscheide Atlantik/Mittelmeer hoch geradelt und dann mit 4,5 kg Logistik auf dem Rücken losgelaufen. Die erste Halbmarathonstrecke noch mit 5:45 den Kilometer. Schwierigkeiten nach dem Radfahren einen Rhythmus zu finden. 15 Minuten bis die Füße aufgewärmt waren, Hektik, umständliches Hantieren beim Flaschendeponieren und Fotografieren. Die Schritte mit ~168 BPM im Allegro.
Bei der zweiten Halbmarathonstrecke erste Probleme mit dem Magen. Die zwei Müsliriegel waren zuviel für den Magen, er wollte nicht mehr verdauen. Auch der Rucksack malträtierte meinen Rücken übel. Punkt 12 war ich an meinem Ziel. Jetzt ging es im Donautal entlang und dann wieder hoch. Nach Steigung mit 4:04 die Marathonstrecke geschafft. Die Landschaft um mich war zwar historisch aufgeladen mit Keltenschanzen, Soldatenfriedhof napoleonischer Kriege, Rückzugshöhlen aus den Religionskriegen – aber ich hatte nur ein schnelles und verwackeltes Auge dafür.
Einbruch dann zu Beginn des letzten Drittels der Strecke; Müdigkeit, der Magen, der nicht mehr wollte - ich konnte nur noch gehen. Krähenschwärme, die auf mich als Beute warteten – ihre Kontrahenten, die Dohlen, auf dem Rückzug. Im Gehen esse ich noch einmal einen Riegel und der Magen - nun durch das Laufen nicht im Stress - akzeptiert ihn. Die beim Hinlauf deponierte Flasche lasse ich liegen. Langsam laufe ich wieder los, aber dann stoppen mich 16 Kilometer vor dem Ziel Krämpfe im Oberschenkel. Also pausieren und strecken. Nach dieser 5 km langen Krise – ich hatte schon geglaubt, nur noch gehen zu können – läuft es wieder. Freilich anders als vorher: Diesmal trägt mich der Körper; wie mechanisch läuft er um die 6:00 je Kilometer. Ich selber spüre nur die Schmerzen. Es ist als hätte mein Körper mit mir ein Arrangement getroffen: ich laufe für dich, aber die Schmerzen musst du ertragen. Die letzten 10 km mit 5:56.
Die 63 km in brutto 6:33. Höhenmeter ~400 m. 2,5 l Tee, 4 Riegel.
Heimfahrt ging bis auf wenige Krämpfe besser als gedacht und etwas flotter als die Hinfahrt.

Insgesamt war die Strecke no fun, mehr Willensleistung als Spaß. Viel leichter fielen mir 31 km mit 5:03/km in der Woche zuvor. Eine ähnliche Harmonie mit dem Körper hatte ich mir für die 65 vorgestellt. Aber gut, dass ich nicht wusste, was mich erwartete. Andererseits war die Überwindung der Krise eine neue Erfahrung.

01.11.08

LAUFEN, LEBEN

Es gab bis ins 19. Jahrhundert die Philosophie des Vitalismus. Er grenzt sich vom Materialismus dadurch ab, dass er im Leben eine Kraft annimmt, die auf einen bestimmten Sinn hinzielt und dadurch mehr ist als bloß die Wirkung einer physiologischen Ursache. In der daraus hervorgegangen Lebensphilosophie wird darüber hinausgehend die Kraft, die Unberechenbarkeit und Spontaneität des Lebendigen betont. Dies im Unterschied zu Überlegungen, die sich am erkennbaren Zweck, unmittelbaren Resultat, gesellschaftlichen Nutzen oder der moralischen Bedeutung orientieren. Das Leben – so ein Leitgedanke - neigt dazu, alle Ketten zu sprengen und Regeln außer Kraft zu setzen. In seiner Kreativität und Unberechenbarkeit geht es immer wieder über Gewohnheiten und alltägliche Vernunft hinaus, spielt verrückt, weist neue Wege und drängt zu neuen Zielen.
Oft mündet die vitalistische Philosophie in eine Art von Irrationalismus, bei dem Vorrangigkeit und Überlegenheit der Spontaneität, Impulsivität und Kreativität gegenüber dem zweckvollen und vernünftigen Handeln gepriesen wird. Nietzsche etwa stellt das „Leben“ in Gegensatz zum Räsonieren, vernünftigen Überlegen. Es ist Tat, Handeln, Aktivität im Unterschied zum Überlegen, zur Vernunft. („Am Anfang war die Tat“ heißt es in Goethes Faust).
Was hat das nun mit dem Laufen zu tun? Auch hier lehnen es manche Läufer ab, sich über das Laufen und seine Motive Gedanken zu machen. Es macht Spaß oder sonst was, ist Ausdruck eines Lebensbedürfnisses, als Bewegung einfach lebensnotwendig. Es heißt, man sollte nicht alles hinterfragen, analysieren, begründen oder denunzieren. Solange es Spaß macht, braucht man sich darüber keine Gedanken zu machen.

Mir, der ich immer wieder unter Laufdrang „leide“, erscheint das unbefriedigend und ich möchte begreifen, was den Sinn meines Laufens ausmacht. Grob gesagt kommt mir Laufen als eine teilweise irrationale Verhaltensweise vor, die das, was sie insgeheim anstrebt, nicht erreichen kann, weil ihr das Bewusstsein darüber fehlt. Und deswegen muss sie sich tendenziell im Kreise drehen und Formen annehmen, die ihren eigentlichen Motiven fremd oder nicht zentral sind: Zwang, Ritual, Leiden, Langeweile, Routine, Leistungszwang, narzisstischer Körperkult, egozentrische Selbstdarstellung, Exerzieren von Überlebenskampf und Überlegenheit.

Nicht dass ich mit Laufen aufhören will. Mein Laufdrang ist viel zu stark. Aber ich würde ihm gerne einen kreativen Sinn geben. Etwa in der Landschafts- und Naturerfahrung. Zugleich will ich etwas über mich selber erfahren, über die menschliche Natur und Existenz. Wenn ich laufe, bewege ich mich in einem Rahmen möglicher Motive und Ziele, der mir durch meine Geschichte, das Leben in der heutigen Gesellschaft und meine menschliche Natur vorgegeben sind. Aus einem Laufdrang soll eine sinnvolle Aktivität werden.

24.10.08

DER SPORTGOTT

Die Kritiker der Fitnesskultur haben sicher Recht, wenn sie die Ähnlichkeiten des Sports zur Religion hervorheben. Da gibt es zu viele Gemeinsamkeiten: die Bedeutung des Leidens, das Opfer, das Verlangen nach ewigem Leben („forever young“), der Glaube an die Heilkraft, der Glaube an die sozialisierende Funktion des Sports. Wie in der Religion gibt es Heilige und Wundertäter - wenn auch mit Chemie -, gibt es Hierarchien. Es gibt Not und Krankheit, von der der Sport erlösen soll, es gibt wie im Himmel die Jubelchöre in Stadien und Straßen für die Triumphierenden. Es gibt Faule und Fleißige, Gute und Böse. Das Gericht wartet auf die Läufer, die Uhr läuft ab.
Gut, da sind auch Unterschiede: die Diesseitigkeit der Anstrengungen, die Überprüfbarkeit durch Erfahrungen. Aber im Zentrum der Religion wie des Sports steht die Bemühung um das richtige Leben. Bei Paulus etwa heißt es: „Laufet, dass ihr gewinnet“ (1Kor9, 24-27)
Der Sportgott verlangt Disziplin, Schweiß, Opfer. Der erste Marathonläufer stirbt nach dem Lauf, genauso wie vor kurzem Franz Häusler in der Nacht nach seinem Deutschlandlauf.
Kampf, Gewinnen gehört zum Essentiellen von Religion und Sport. Irgendwann waren beide identisch. In „primitiveren“ Religionen ist „Gott“ identisch mit KRAFT. Der jüdische Gott ist einer, der seinem Volk in den vielen Kriegen helfen soll. Das Christentum wird zur Staatsreligion dann, als mit dem Kreuzeszeichen 312 eine entscheidende Schlacht gewonnen wird. Das germanische Walhall ist ein Erlebnispark für die toten Krieger – die anderen Menschen sind nur düstere Schatten. Für die Griechen waren die Götter in ständigem Streit und Kampf untereinander, ihre Halbgötter zeichnen sich oft durch außerordentliche körperliche Kräfte aus. Die Olympiade war eine Art von Götterdienst für Rhea, der Tochter von Gaia und Uranos. Man nahm wohl an, dass die Wettkämpfe den Göttern gefallen würden, weil sie Kriege eben lieben.
Das Christentum scheint dieser Kampfreligion ein Ende gesetzt zu haben mit seinen Bildern vom Opfer am Kreuz und dem Aufruf zur Friedlichkeit und Nächstenliebe. Aber das ist nur eine Seite, die andere ist die des Schwerts (Mt. 10,34), und sie hat wohl in der Geschichte eine deutlichere Spur hinterlassen als die Nächsten- und Feindesliebe. Vielleicht weil sie der menschlichen Natur mehr entspricht.
Vielleicht auch ist der Sport aus diesem Grund als Zivilisierung der Feindschaft, wie etwa bei den Griechen, ein realistischerer Ansatz.
Dem insgeheimen Opferkult im Sports scheint eine geheime Lust zur Selbstauflösung zu Gunsten eines Größeren zu Grunde zu liegen. Sei es die erträumte eigene Größe, die Mutter Natur, ein (halb-)göttlicher Status. Für ein kleines Glück reicht es aber schon, die bis dahin eigenen Grenzen überwunden zu haben.

20.10.08

57 km

Zusammen mit meiner Frau, die zwischen Kilometer 33 und 50 gezweifelt hat, ob die Entscheidung für diesen Lauf die richtige war. Ich kenne ihre „Ach“ und „Wehs“, weiß, dass wenn sie morgen wieder gut drauf ist, ich leiden werde. Der Lauf ohne Zeitnahme mit ca. 100 Läufern führte bei herrlichem Herbstwetter hoch und runter 1200 Meter aufwärts, über Berg und Tal durch weite Landschaften und enge Tobel. Durch Gassen, Hohlwege, über Waldwege voll mit Wurzeln, Laub und Schotter, über Wiesen und Straßen, durch einige Dörfer, vorbei an 6 Verpflegungsstationen. Aussichten über den See, aber der Nebel versperrte den Blick auf die Alpen, so dass wir mit Grund auf den Aufstieg zum Aussichtsturm verzichten und bei Kilometer 52 jubelnd abwärts rennen konnten.

Mir hing eine relativ schlaflose Nacht
wegen Überfressung (carboloading!) im Magen – quälende Blähungen von Rosinen. Mit durchschnittlich ca. 8 Minuten je Kilometer war das Tempo aber erträglich. Heute quälen mich die Strecker im Oberschenkel, wohl infolge der Auf- und Abstiege. Irgendwo, so um die 35 hat der Genuss an der Strecke aufgehört. Heute kommen mir aber wieder die schönen Bilder der Strecke ins Bewusstsein.

14.10.08

NATUR ALS DAS GROßE ANDERE

Wenn Natur zu einer individuellen spirituellen Erfahrung wird, ein Mensch in der ihn umgebenden Natur aufgeht, oder er sie sich zueigen macht, oder sie ein Teil von ihm selbst wird, dann wird die Grenze zwischen Ich und Außen teilweise aufgelöst.
Zunächst ist aber Natur ganz und gar nicht freundlich:
bedeutet Kampf mit ihr um Überleben. Natur bedroht uns mit Kälte, Trockenheit, Unwetter, Katastrophen, Untieren, Gift und Krankheiten usw.

In Kontakt „treten“ mit der Natur:
Zunächst ist die Natur außerhalb, dann treten wir in Kontakt mit der Natur. Über die Augen, über die Haut. Die Augen mit dem Blick in die Ferne können sich entspannen. (Meine Kurzsichtigkeit geht nach längerem Aufenthalt im Freien zurück.) Die Haut spürt die Sonne, den Regen, den Wind, die Kälte. Es ist wie berührt werden.
Man ist von der Natur umgeben wie von einem Organismus im vorgeburtlichen Zustand. Manche erleben das als Geborgenheit, andere als zu sich selber kommen, andere als Selbstauflösung.
Der Läufer spürt allerdings immer die Differenz, das Widerständige. Da ist sein Körper, der gegen innere Widerstände bewegt werden muss, oder da sind äußere Widerstände: Wetter, Steine, Berge und anderes mehr. Im Zentrum seiner Aufmerksamkeit und Erfahrung steht auch weniger die Natur als sein eigener Körper. Da ist der Rhythmus des Laufens, der Wechsel der Landschaft, das ständige Fortschreiten, die Bewegung im Gegensatz zum Stillstand, die Lust an der ständigen Veränderung.
Der Rhythmus vermittelt zwischen Stillstand und Zerfall im Chaos: die Zeit zerstört alles, durch den Rhythmus wird das Vergangene auf neuem Niveau wiederhergestellt.
Ist die Erde eine Trommel, auf die der Läufer seinen Rhythmus schlägt? Oder ist er die Trommel, die sich bewegt im Rhythmus wie die Erde auf seine Füße schlägt und ist er der vibrierende Teil, Resonanz der Erde. - Es geht ineinander über, ist Interaktion, Austausch, wechselseitige Beziehung, unklar was aktiv und passiv ist. Ähnlich wie beim Singen, wo der Körper zum Resonanzkörper der Stimmbänder wird, ist beim Laufen der Körper schwingender und federnder Teil, ebenso wie er aktiv ist.

Die Natur umgibt uns wie der Mutterleib den Embryo. Es ist ein vorsprachlicher Zustand und ein Kontakt, wo noch nicht eine Beziehung zwischen zwei unterschiedlichen Individuen besteht, sondern einer sich im anderen auflöst. Angenommen es gäbe da eine große harmonische Einheit mit der umgebenden Welt, so wäre dies ein Grund in schwierigen Zeiten – dann, wenn Beziehungen abbrechen, wenn man allein ist – wieder zu dieser Urerfahrung zurückzugehen und sich in die Identifikation mit dem umfassenden Großen Anderen zu begeben. Er hat nichts zu tun mit der Beziehung zu einem bestimmten Menschen, es ist eine ursprüngliche Lebenserfahrung, nicht definierbar.
Aber diese Erfahrung schließt andere Menschen aus, ist nicht mitteilbar, es geht darum nur bei sich selbst zu sein. (
Uranos, Sohn des Akmons, des „Unermüdlichen“, verhindert bei Gaia die Geburt anderer Kinder, er will der Einzige sein.) Der Traum des Läufers ist der Herr der Strecke zu sein, er begibt sich in Konkurrenz zu den anderen Läufern. Die Erfahrung des Laufens gibt ihm Selbstvertrauen und Kraft, er fühlt sich mit seinen Leistungen überlegen.
Dieser „Rekurs“ auf die Urerfahrung kann Teil einer Größenphantasie sein, wenn er gelingt und Euphorie auslösen, aber auch Anlass zu Verzweiflung und Depression sein, wenn er misslingt oder durch die Schwere und Strahlkraft der negativen Erfahrungen nicht möglich ist.
In die Größe der Natur lässt sich die eigene Größe fantasieren.

08.10.08

EIN KLEINER ULTRA

Zur Vorbereitung eines Marsches über 57 km nächste Woche haben wir einen Trainingslauf zum nächsthöchsten Berg in der Region hier gemacht. Mal gejoggt, mal bergauf gegangen. Ca. 960 Meter ging es hoch über Berg und Tal. Am Anfang war es noch 4 Grad kalt, dann blies der Föhn, klärte die Sicht, wärmte auf. Auf dem Ziel dann Sicht über den See, von der Zugspitze bis zum Tödi. Beim Rückweg dann auf blauem Hintergrund die verschneiten Alpen, während von Westen schon der Föhn mit seiner feuchten Warmluft eintrübte. Am Schluss waren es nach brutto 6 Stunden - inklusive Vesperpause, 2kg Nüsse Sammeln, Fotografieren usw. – etwas über 45 km.

03.10.08

NATUR UND SPIRITUELLE ERFAHRUNG

In einer Sendung des Schweizer Rundfunks DRS 2 Reflexe gab es einen Podcast über Landschaftserfahrung. Diskutiert wird darin eine Umfrage, bei der 41 Prozent der Schweizer in Natur einen Ort der Spiritualität sehen, dagegen nur 14 Prozent die Kirche. (In der Suisse Romande sind es übrigens nur um 20 Prozent, für die Natur Ort spiritueller Erfahrung ist.)
Was ist aber spirituelle Erfahrung in der Natur? Bei der Diskussion fallen Begriffe wie die Erfahrung von sich selbst in einem größeren Zusammenhang, der Identifikation mit der Natur, der Natur als übergreifenden lebenden Organismus, als Äußerung göttlicher Schöpfung. Es ist also nicht nur eine Erfahrung der eigenen Person, sondern es geht um eine Identifikation, vielleicht sogar Verschmelzung mit der umgebenden äußeren Natur.
Aber diese Identifikation, etwa in dem Gefühl, dass wir ein Teil dieser Natur sind, ist nur eine Fantasie, ein Wunsch. In Wirklichkeit sind wir außerhalb der Natur, ihr gegenüber fremd. Sie ist keine Person, kommuniziert nicht mit uns, wir sind ihr gleichgültig. Auch wenn wir selber Natur haben.
Was wird nun auf die Natur projiziert? Es gibt bei den sogenannten „spirituellen“ Erfahrungen zwei ineinander übergehende Typen: Entweder ist es die Erfahrung eines Großen Anderen oder das eigene Selbst verschmilzt mit der Umgebung; das wäre dann die Erfahrung der eigenen Größe und Bedeutung.
Die meisten Menschen haben wohl dann ein intensives Naturerlebnis, wenn sie das Gefühl einer Zugehörigkeit zu der sie umgebenden Natur empfinden. Dann wird die ansonsten fremde Umgebung zueigen gemacht, sie gehört, wenn auch nur wenige Momente, dem Wanderer oder Läufer allein. Auf der Höhe eines bestiegenen Berges „erschließt“ oder öffnet sich die Landschaft und es ist wie eine vorübergehende Besitznahme.
Solche Erfahrungen sind vorübergehend. In der Regel ist der Wanderer, der Läufer, der Entdecker Fremder und erlebt sich als getrennt von der Natur. Die Heimatlosigkeit hat ihn ausziehen lassen. „Fremd bin ich ausgezogen, fremd kehr ich wieder heim“ heißt es in einem meiner
Lieblingslieder. Die fremde Landschaft muss erlaufen, erobert, angeeignet werden. Das, was nach dem Lauf hinter uns liegt, geht wieder verloren.
Läuft man die immergleiche Strecke, hat das wohl zwei Gründe, zum einen erleichtert es die Konzentration auf sich selbst, die eigenen Gedanken und Gefühle, zum anderen ist es eine Art von Kontrolle eines imaginären Landbesitzes. Ihn mit anderen teilen zu müssen mag angenehm oder ärgerlich sein.
Kann man mit anderen Menschen eine spirituelle Naturerfahrung teilen?
Selten hat man die gleichen Stimmungen und Einstellungen. Naturerfahrungen sind in der Regel individuelle Erfahrungen vereinzelter Menschen. Erlebnisse von Gemeinschaft sind ganz anderer Art. Sie verbinden.

29.09.08

MARATHON: KEINE GUTE ERFAHRUNG

Die Tage vorher unsicher, was ich schaffen kann. Minimum 3:30, Maximum etwas über 3:20. Nervosität, Angst, Unlust. Statt Carboloading 1kg abgenommen, auch wegen leichter Erkältung. Vor mir eine Strecke, die ich satt habe. Öde Landschaft, steinige Wege. Welchen Sinn soll es haben, nur wegen der Konkurrenz mit anderen durch die Steppe zu stampfen?
An die 800 rennen los, üblicher Kampf um Plätze. Ich versuche mich zu bremsen, trotzdem der erste Kilometer 4:20. Also locker bleiben, sich überholen lassen. Das Übliche: Leute überholen, setzen sich vor mich und werden langsamer. Die 10 mit 45:30. Ab 12 das Gefühl, dass sich die Beine versteifen. Versuche, lockerer zu laufen. Aber es ist, als würde mir der Kontakt mit der Erde fehlen, dieses lockere, schwingende in Kontakt Treten mit dem Boden. Stattdessen das Gefühl, in der Luft herumzustampfen; Kopf nach hinten gezogen.
Ich atme zu stark, bekomme Zweifel, ob ich das durchhalten kann. Ein kleiner stämmiger Typ in warmer Fliesjacke zieht langsam vorbei. Eine Zeitlang orientiere ich mich an ihm. Ein anderer überholt mich, setzt sich dann ganz dicht vor mich, ich ärgere mich, überhole ihn. Dann hängt er für 15 Kilometer an mir, hüstelt immer wieder – aber schnauft nicht so wie ich. Renne ich beim Abwärts mal los, hat er nachher den Abstand schnell wieder aufgeholt. Zuerst fühle ich mich gejagt, dann habe ich das Gefühl sein Tempomacher zu sein. Laufe ich nach rechts, zieht er auch nach rechts usw.
Halbmarathon mit 1:36. Normalerweise fängt jetzt das Rennen erst an, aber nach 30 Kilometer fühle ich mich am Ende. Endlich bei 31 treffe ich meine Frau, greife nach meinem Wundermittel: schwarzen Tee. Aber das war es dann. Meinen Hintermann kann ich ziehen lassen, aber bei mir ist die Luft raus. Mein Gott, noch 11 Kilometer. Jetzt nur noch Tragödie. Kampf gegen die Schwäche, gegen Schmerzen, gegen Defätismus, den Magen, der sich übergeben will, um Luft, um eine gerade Linie. Der Kopf zieht nach hinten, ich versuche immer wieder, ihn nach vorne zu ziehen, die Nackenmuskeln etwas zu strecken. Aber das ist nicht gut für die Koordination, der Blickwechsel bringt mich aus dem Gleichgewicht. Schließlich stürze ich und schürfe mich von oben bis unten auf. „Hinfliegen“ nennt man das hier. Die Sprechweise trifft das Abheben von der Realität und danach das Landen auf dem harten Boden der Tatsachen. Blutend geht es weiter. Kein Blick für die Leute am Rand - interessieren mich nicht, was wissen die schon.
Hoffnungen, dass ich mich erhole, Hochrechnungen, ob ich es mit 6 Minuten je Kilometer noch schaffe. Wenn es bis zum Ziel nur noch 3 Kilometer sind, kann ich vielleicht noch einmal loslegen. – Denkste, eine schweinische Steigung über eine Brücke muss ich sogar noch gehen. Einfach weiter, weiter. 5 Läufer haben mich schon locker überholt. Ist mir egal. Mehr als mein Tempo geht halt nicht. In Kurven habe ich Probleme, nicht nach links zu stürzen.
Mit 3:28 endlich im Ziel. Schwierigkeiten, stehen zu bleiben, ohne nicht nach hinten zu fallen. Ein Arzt schaut mich besorgt an; ein Läufer ist nach dem Lauf kollabiert und musste reanimiert werden.
Andererseits für nur 560 km die letzten 10 Wochen, wegen Urlaub und gebrochenem Zeh, ist das Ergebnis ja auch nicht so schlecht. Meine Tochter tröstet mich: “Du wirst älter“.

21.09.08

25 KILOMETER

Bei H. Steffny steht irgendwas von Steigerungen. Ich habe nicht herausgefunden, was er meint. War mir immer schon ein Rätsel. Da ich eine Schwäche für das Quantifizierbare habe, laufe ich bei jedem Kilometer 100 Schrittpaare etwas schneller als Renntempo. Die roten Blutkörperchen sollen durch dieses Schwellenlaufen vermehrt werden. Vielleicht nützt es was und ich habe in einer Woche was davon.

Dann, anderes Thema, bin auf Laufberichte von „Le Grand Raid de la Reunion“ gestoßen, die meine ganze Fantasie auf sich gezogen haben. Ich will alles darüber wissen. Wohl unwahrscheinlich, dass ich da hinfliege – 9500 km, eine Ökoschweinerei. Aber die Bilder und Erlebnisse faszinieren mich. Allein schon die Erfahrung, in einem „Wettbewerb“, gut versorgt und doch alleine laufen zu können, lockt mich an. Dann die Landschaft mit ihren Extremen. Ich rätsle darüber, was mich daran so anzieht. Was ist schon ein 3 oder 4-Stunden-Marathon gegen solche extremen Landschaftsläufe? Die wilde Landschaft prägt sich tief, blutig tief in die Körper der Läufer ein, wie die Apparatur in Kafkas „Strafkolonie“. Nicht nur das Leiden fasziniert, sondern auch das Auf und Runter, die Höhepunkte und überwundenen Tiefpunkte. Landschaft als Herausforderung, und Laufen als Möglichkeit sie zu erobern.
Da klingt es an: Eroberung, Kampf, Gewinnen, Verlieren.
Vielleicht kann man es aber auch Erfahrung nennen, Eintauchen in die Weite, Aufgehen in der Landschaft, Identifikation.

15.09.08

36 Kilometer

gehören zur Marathonvorbereitung. Mit etwas Bangen geschafft. Kein Blick auf die Natur. Keinen auf das Wetter. Ich war nur nass von Schweiß, als ich zurückkam. Am Abend vorher noch Magenkrämpfe, Unsicherheit, ob ich das schaffe. Aber dann am Morgen fühle ich mich wohler. Der erste Kilometer wie üblich langsam, dann wurde es schneller, um die 5 Min/km. Die ¾ Liter-Flasche mit süßem Schwarztee nach 7,5 Km abgelegt, wo ich verschiedene Runden drehe. Nach Kilometer 16 dann 10 km lang im Eiltempo, mangels Kilometerangaben zu schnell, die restlichen 10 km auslaufen.
Was geht im Kopf vor sich? Zuerst: schaffe ich es, oder muss ich Pausen einlegen oder abkürzen? Dann, als es doch recht gut läuft, die Frage, welche Zeit kann ich erreichen? Bei den 10 flotten Kilometer schwierige Rechnungen, wie schnell ich nun bin. Immer wieder vergesse ich Zahlen, muss wieder neu nachrechnen. Bei den letzten 10 die Frage, wie es wohl bei dem Marathon in 14 Tagen aussehen wird. Wenn ich jetzt schon bei diesem lockeren Tempo leide, wie werde ich erst bei einem Marathon ab km 30 leiden? Erinnerung an Läufe, wo mir jeder kleine Hügel zwischen 30 und 42 einem den Atem genommen hat, ich nur noch gegen die Müdigkeit ankämpfte, mich am liebsten neben die Strecke hingelegt hätte.
Andererseits darf es doch ruhig etwas hart sein. Beim letzten Mal machte ich zur Vorbereitung einen sehr hügeligen Lauf, war auf den letzten Kilometern kaputt – dann lief der Marathon besser als ich dachte. Ich hoffe auf den gleichen Effekt. Aber man weiß ja nie. Wenn es nicht schief gehen könnte, wäre es ja nicht der Rede wert.
Samstags treffe ich normalerweise kaum Leute, diesen Herbst ist es anders. Aber wo ich meine Runden drehe, ist Ruhe. Beim Zurücklaufen belagern welche den Bahnübergang. „Mach Platz“, sagt die Oma zu ihrem Enkel, „der will springen“. Hier ist Laufen „Springen“. Kinder rennen nicht, sie „springen“ und wenn Erwachsene Rad fahren, dann müssen sie und die anderen lächeln, weil das so ungewöhnlich und lustig ist. Auf die Verbindung von Regression und Laufen, zur Frage, wie erwachsen sind Läufer oder sind es doch nicht ein wenig Kinder, ein andermal.

06.09.08

LAUFEN WIE IN DER STEINZEIT

Klaus Schmidt, der Entdecker der 11 600 Jahre alten Anlagen von Göbekli Tepe, meint, für den Menschen damals wären 50 km zu Fuß an einem Tag kein Problem gewesen. Die Anlagen, zwischen denen sich die Jäger bewegt haben, lagen ungefähr 150 km auseinander. Es wird angenommen, dass zwischen diesen Punkten reger Verkehr stattfand.

Wenn ich laufe, dann auch mit der Idee, möglichst einfach zu leben. Das ist natürlich die Idee eines Menschen, der historisch gesehen in Wohlstand lebt und der zurückversetzt in die Steinzeit gar nicht mehr leben würde, schon weil er die durchschnittliche Lebenserwartung längst überschritten hätte, abgesehen davon dass ihm die Techniken und Kenntnisse fehlen, die er zum Überleben brauchen würde.
Trotzdem lässt sich vieles machen, ohne von den modernen Hilfsmitteln der Fortbewegung, Auto mit Öl, abhängig zu sein. Aber selbst wenn ich kein Auto habe, mich mit Gehen, Laufen, Radfahren, Bus oder Bahn vorwärts bewege, weiß ich natürlich, dass mein jetziges Leben auf der Grundlage von Öl beruht: Der Dünger für die Pflanzen, die Maschinerie in der Landwirtschaft, die Fabriken, die die landwirtschaftlichen Produkte verarbeiten, und das Transportwesen, das diese Produkte verteilt.
Dennoch ist es klar, dass wir über kurz oder lang eine andere Ökonomie benötigen, weil das Öl und sein Verbrauch in den heutigen Dimensionen zu Ende geht und wenn wir eine gerechte Gesellschaft wollen. Kurze Wege, Regionalisierung, körperliche Arbeit. Dafür ist Laufen ein Symbol, eine Fantasie, mit der ich mich in eine andere Zukunft bewege.
Das bedeutet natürlich, dass ich nur an regionalen Wettbewerben teilnehme. Ein Läufer, der fliegt, beißt sich selbst ins Bein. (?Hm?)

Ist aber ein Unterschied zwischen einer Fantasie und Realität. Während wir von einfachem Leben träumen, gar barfuss laufen, werden für diesen Sport immer weitere Strecken Auto gefahren, brauchen die Marathons immer größere Parkplätze, wird in klimatisierten Centern trainiert, entsteht eine Industrie um Outfit. Ob einfach Gehen nicht die bessere Alternative ist?

Das Foto stammt aus der Doku des
SWR. Als ich dort war, war schon alles abgebaut.

02.09.08

DER LÄUFER ALS CARDIOMASCHINE

Bei einem Trainingslauf mit meinem angepeilten Marathontempo nehme ich den Brustgurt für die Pulsuhr und stelle fest, dass ich im Durchschnitt bei Hf 166 laufe. Nach der Formel für die richtige Herzfrequenz
Hf = 20 + 0,8 Maximalpuls – 0,15 Lebensalter
müsste ich bei ca. 156 laufen. Also ist mein vorgesehenes Tempo zu schnell. Deswegen nehme ich am übernächsten Tag noch einmal die Uhr und versuche bei Hf 156 einige Kilometer zu laufen. Das Ergebnis ist, dass ich 4 Sekunden langsamer laufen müsste.

Das Beispiel zeigt, wie ich den Körper berechenbar wie eine Maschine machen will. Als ich zu laufen angefangen habe, war mit ein Grund die Sorge um Herz und Kreislauf. Ich habe oder hatte Angst, dass mein Herz und Kreislauf träge werden und irgendwann Probleme machen. Um dem vorzubeugen, müssen diese Organe wie eine Maschine gewartet und gepflegt werden. „Use it or loose it“ heißt es in der allgemeinen Propaganda fürs Laufen. Cardiotraining wird gefordert. Also werden die Herzmuskeln trainiert, die Blutgefäße in Schuss gehalten. Ist die Pumpe so stark genug, kann sie Attacken leichter bewältigen.
Hier also wieder die Maschinenvorstellung vom Körper.

Ganz anders die romantischen Vorstellungen über das Herz in den Jahrhunderten vor uns:
„Was hat es, daß es so hoch aufspringt,
Mein Herz?“ So Müller in der „Winterreise“

Der fahrende Gesell singt bei Mahler:
„Ich hab' ein glühend Messer,
Ein Messer in meiner Brust,
O weh! Das schneid't so tief
In jede Freud' und jede Lust.“

Das Herz drückt hier in seinen Bewegungen seelische Empfindungen aus. Es bewegt sich zwar nicht unbedingt im Gegensatz zum Verstand, aber anders als der Verstand ist es an menschlichen Beziehungen orientiert, öffnet sich diesen großherzig oder verschließt sich ihnen. Es ist ein Symbol für Liebe und Freundschaft. Es wird durch Schmerz und Trauer zerrissen und gebrochen. Es kann kalt werden, wenn es wie in dem Märchen von Hauff, nur noch um materielle Vorteile geht. Es kann sich verschließen zu einer Mördergrube. Es klopft schwer in Angst und steht still vor Schreck, es gerät aus dem Takt.

Ob nicht Cardiotraining das Gefühlsleben unter Kontrolle bringen soll?

Hypothese: Aktivieren durch Tempo, bremsen durch Hf-Messung. An die Stelle der Erregung in Beziehungen durch Wut, Angst, Mut und Initiative kontrollierte Coolness. Innere und äußere Natur tritt als imaginäre und diffuse Bezugsperson an die Stelle einer realen. Rückzug aus beängstigenden, erregenden und riskanten Beziehungen. Der Herzinfarkt als logische Folge einer sozialen Kränkung und Verletzung.

25.08.08

Zwischenüberlegung Gesundheit

Ich habe einen Marathon im Auge, würde aber doch gerne unter 3:30 kommen. Aber zuerst hat mir der Urlaub 2 Wochen genommen, dann der kleine Zeh wieder eine Woche. Jetzt wird es langsam spannend, ob ich das noch schaffe. Den Einstieg habe ich mit verkrampften 5 km, dann lockeren 12 und gestern nachher schmerzhaften 19 gemacht. Ich bekomme schon Angst vor meinen Absichten. Ob das gut geht? Der Ischias meldet sich auch wieder leise an. Und dann höre ich noch, dass sich ein Bandscheibenvorfall, um den es bei mir ziemlich still geworden ist, im Laufe der Zeit und fortdauernder Belastung in eine Stenose im Wirbelkanal umwandeln kann.
Immer noch wird die Mär verbreitet, wie es vor 2000 euphorisch hieß, dass beim Laufen das Körperfett schmelze wie die Butter an der Sonne oder wie es in einem
seriösen Blatt heißt: „…wer sich durchgerungen hat, laufend abzunehmen, kann den Pfunden beim Purzeln zusehen.“ Man muss sich das vorstellen: jemand ringt sich zum Laufen durch (!!), dann läuft er und sieht noch zu, wie die Pfunden purzeln. Gut, dass ich dafür nicht laufen und das ansehen muss.
Manchmal hat man bei den Laufmissionaren und Hallelujaläufern den Eindruck, dass je weniger sie innerlich sie von ihrer eigenen Läuferei überzeugt sind, umso mehr andere davon überzeugen müssen. Gilt übrigens für jede Art von Mission.
Ob es nicht besser wäre, bevor man sein Herz noch mehr verkalkt, mehr moderat zu laufen? Wahrscheinlich nur eine Ausrede, um auf die etwas unangenehmeren Tempoläufe verzichten zu können. Ich würde freilich doch noch gerne ein paar lange Strecken laufen. Der Sommer geht so schnell vorbei.

16.08.08

PEIN-LICH

Vor zwei Tagen den kleinen Zeh angestoßen. Entweder ist er verstaucht oder gebrochen, oder die Bänder/Muskeln sind gezerrt. Hat hörbar geknackst und höllisch wehgetan. Wie auch immer. Ich bin von meiner Vorbereitung für Marathon und längere Läufe heruntergeholt worden. Weiß nicht, ob das noch klappt. War schon bei 30 km.
Schuld das Barfußlaufen. Versuche durch regelmäßiges Barfußgehen die Fußsohle etwas elastischer und kräftiger zu machen. Barfuß zu joggen habe ich mal gelassen - ich bin noch zu empfindlich. Barfuß gehen dagegen ist ein Genuss, den Untergrund spüren, Wärme und Kälte, die Kraft in den Füssen, das Profil unterschiedlicher Beläge.
Jetzt versuche ich meine Kondition mit dem Rad zu retten. 72 km mit 25,7, Hf 130.

Der rechte Fuß ist der, mit dem ich voranschreite, der meinen Willen ausdrückt. Wenn ich etwas überspringe, geht er voran. Obwohl er kürzer ist und auch wohl schwächer als mein linker, ist er wohl der Ausdruck meines Willens. Wenn ich mit ihm - schon zum zweiten Male in kurzer Zeit – an etwas stoße, heißt das wohl, dass ich zu sehr forciere, zu wenig aufmerksam bin. Die Augen gehen in eine andere Richtung. Ich bin nicht voll bei der Sache, die ich mir vorgenommen habe. Mein Wille und meine Fantasie, meine Gefühle gehen getrennte Wege.

12.08.08

WANDERN IN DEN CEVENNEN

Nach den letzten ungehörigen Bemerkungen über das Laufen, bin ich anderntags noch 27 km mit 5:20 gerannt, und dann mit meiner Frau nach Frankreich in die Cevennen abgetaucht.
Resultat der Sieben-Tage-Wanderung sind eine Menge schöner Landschaftserlebnisse, viele Bilder, kleine Abenteuer und eine sehr schöne Erfahrung von Frankreich. Wir sind insgesamt ca. 170 km gewandert, Rucksack mit Zelt und Verpflegung auf dem Rücken, über 3500 Meter auf und abgestiegen.
Nicht allzu teuer: ca. 250 € je Person (davon Fahrt mit Bahn von BW aus: ca. 180€), 5-mal auf Campingplätzen (für zwei zwischen 7,4 und 10,5 € je nachdem mit oder ohne warme Dusche), einmal in einer Gîtes d'étape (12€ je Person, jugendherbergenartig, mit Kochgelegenheit etc. – der ganze Nationalpark der Cevennen lässt sich mit solchen Gîtes d'étapes durchgängig erwandern).
Wir sind in Alès gestartet und in Génolhac wieder in die Bahn zu einem Zwischenaufenthalt und Erholungswandern in der Auvergne. Eckpunkte der Wanderung waren der Mont Aigoual (1565 m) und Florac an der Tarn.
Die schönsten Etappen waren zwischen Cabrillac und Barre des Cévennes und die Tour de Mont Lozère zwischen Florac und Les Bastides/Génolhac. Es gäbe viel zu beschreiben, ich beschränke mich auf zwei Bilder.
Zuerst war ich skeptisch gegenüber der Idee, in der Höllenhitze zu wandern und der erste Tag war mit über 30 km kein Spaß, aber habe ich mich dann mit der Wärme anfreunden können und dazu noch Einiges über die Geschichte der Region, Hugenotten und Kamisarden, erfahren.

28.07.08

LAUFEN, HOSPITALISMUS – SONST NOCH WAS?

Als ich diese Gedanken zum ersten Mal geäußert habe, bin ich auf heftigen Protest gestoßen. Ich sehe die Bilder von sich hin und her wiegenden Menschen und frage mich, ob Laufen nicht auch ein wenig dazu gehört. Es gibt diese Szene in Truffauts Film „Der Wolfsjunge“ über einen von seinen Eltern ausgesetzten Jungen, der sich im Mondschein hin und her wiegt. Man kennt es von hospitalisierten Kindern. Es ist eine Regression auf eine frühe menschliche Beziehung, das Sichtragenlassen vom Rhythmus eines (mütterlichen) Körpers, seines Herzschlags und Atems. Die Erfahrung des eigenen Körpers reduziert die Außenwahrnehmung und ein freies Denken, Phantasieren, Fühlen wird dominant. Die hospitalisierten Kinder schaukeln sich in eine Trance, sind „weg“ und könnten nachher nicht mehr erzählen, was in ihnen da vorgegangen ist.
Natürlich ist das beim Laufen anders. Zwar drehen sich die Gedanken ab und zu im Kreise, bewegen sich zwischen Zerfahrenheit und Konzentration, aber nur die wenigsten werden das Bewusstsein verlieren und den kritischen Verstand. Auch wenn ein böser Kritiker der Läufer einmal gemeint hat, man solle sich beim Joggen nur einmal Ohrstöpsel in die Gehörgänge stecken, um zu hören, wie bei jedem Tritt das Gehirn an die Schädeldecke knallt und es so auf die Dauer schleichend zerstört.

Neben oberflächlichen Parallele gibt es aber, so denke ich, noch andere Gemeinsamkeiten. Wenn man läuft, schaltet man ab, lässt Manches hinter sich, lebt in einer anderen Welt. Immer ist Laufen mit Distanzierung und Weggehen, vielleicht sogar Trennung verbunden (und wieder nach Hause laufen, heimkehren??). Das Laufen ist eine einfache rhythmische Bewegung. Das erleichtert das freie assoziative Denken. Als „Brainstorming“ kann es auf neue Ideen bringen, aber Selbstbeobachtung kennt auch Gedanken, die sich ständig im Kreise drehen. Oft nach „Auseinandersetzungen“. Tiere in Gefangenschaft bewegen sich ruhelos hin und her.

Diesen etwas dunklen Gedankengängen wird ein Läufer dagegenhalten: Ich laufe, weil ich die Natur liebe; ich laufe für meine Fitness; ich will mich beweglich halten; ich liebe die Bewegung. Das Gleiche kann ich auch für mich sagen. Aber jede menschliche Sache hat mehrere Ursachen.

17.07.08

NOCHMAL WETTKAMPF


Heute bin ich im strömenden Regen "flott" gelaufen, 12 km mit 4:50, und musste an die Toten vom Zugspitzlauf denken. Schon als ich beim Loslaufen einen Nachbar getroffen habe, musste ich annehmen, was er über diese „Spinnerei“ denkt. Ich bin kein Bergläufer, die paar Hundert Meter rauf und runter mal abgesehen. 500 km zu fahren, nur für einen Berglauf, nee. Bergwandern, ein bisschen Bergsteigen, einige über 2500, 3000 und einer über 4000, okay. Ist ja auch schon anstrengend.
In der Nichtläuferszene ist die Meinung anscheinend eindeutig: der Berg wird als Sportgerät missbraucht. Im
Bayern 2 Tagesgespräch vom 14.07.08 sind es vor allem die Bergwanderer von der Harmonie- und Jodelfraktion, die nun ihre negativen Erfahrungen mit Bergläufern loswerden wollen, die gegen alle ihre hochheiligen Regeln von Bekleidung und Vorsichtsmaßnahmen verstoßen. Man sieht: der Läufer nervt, weil er sich im Wettkampf am Berg an die Spitze setzt.
Eine andere Sache ist, dass Laufen mit Ehrgeiz verbunden ist. Ehrgeiz hat aber zwei Seiten.
Auf der einen Seite ist es ein Ausscheren aus der Norm, der Einigkeit mit anderen. Der Läufer ist schneller als die anderen, härter gegenüber sich selber. Noch mehr: Oft ist Laufen ein (zeitweiliges) Ausbrechen aus sozialen Bindungen, ist (trotz Lauftreffs) eine Art des Privatisierens und Sich Isolierens. Es ist darüber hinaus eine intensive Art der Selbstwahrnehmung, der Beschäftigung mit sich selber. Ja – Narzissmus. Ich laufe und bin mir dabei bewusst, dass ich mehr bringe als andere. (Ein gutes Gefühl? - Wenn da nicht die Zweifel wären, ob es nicht sinnvollere und nützlichere Arten gäbe, die Zeit zu verbringen. Oder die Gedanken, dass es da noch so viele nicht erledigte Aufgaben gibt.)
Auf der anderen Seite zeigt sich der Läufer paradoxerweise gerade in seinem Ehrgeiz als soziales Wesen. Die Ehre ist eine Sache, die uns in der Erziehung implantiert wird, und soziale Wertschätzung oder Verachtung ist eine tägliche Erfahrung, die jeder machen kann.
Jetzt mag man einwenden, dass dieser kämpferische Ehrgeiz, der es den anderen beweisen, sie niederzwingen und dominieren will, doch eigentlich recht asozial ist, sozial inhalts- und wertlos.
Ja, vielleicht.
Vielleicht ist man in dem Bestreben, stärker, härter, schneller als andere zu sein, eine gefühllose Kampfmaschine geworden. Gefühllos gegenüber dem eigenen Körper, der nicht mehr kann und will. Und hilflos gegenüber der Erfahrung der eigenen sozialen Schwäche und Unterlegenheit.

05.07.08

LAUFEN IM WETTBEWERB

Ich bin von Natur aus wohl eher ein Mensch, der schnell genervt ist und vielleicht auch andere nervt und in vielen Polemiken lebt.
Zum Laufen bin unter Anderem auch durch den Überdruss an Menschen gekommen, die über Krankheiten jammern, und denen ich beweisen wollte, dass man auch in reiferen Jahren noch leistungsfähig und aktiv sein kann.
Denke ich darüber nach, was mir am Laufen Spaß macht, so ist es weniger oder nicht nur die Freude am Laufen, sondern oft mehr der Stolz darauf, gewisse Strecken absolviert zu haben, das Gefühl etwas außerhalb des Normalmaßes erreicht zu haben. Zu den „schönsten“, meint eher den befriedigendsten Läufen zähle ich weniger die Marathons, eher die Langläufe, 30 km und drüber, in der kälteren Jahreszeit, hoch und runter, die Flasche auf dem Rücken, einsame Strecken. Vielleicht gelaufen in dem Gefühl, dass es mir keiner nachmacht. Anders beim Marathon.
Natürlich zieht mich der Wettbewerb an. Die Uhr ist wichtig zur Beurteilung meiner Leistungen, das Gefühl, mich etwas verbessert oder eine alte Leistung erreicht zu haben. Wettbewerbe bin ich immer so angegangen, dass ich mein Optimum bringen wollte, also Training nach Plänen, Tempotraining, Steigerung usw. Eine Zeitlang habe ich das Ziel verfolgt, unter 3 Stunden zu laufen, war im Training über 100 Wochenkilometer, aber sei es durch Übertraining, falsches Timing oder einfach körperliches Limit, habe ich dieses Ziel nicht erreicht und inzwischen aufgegeben.
Den ersten Marathon habe ich ganz gut gemanagt, musste es mir aber gefallen lassen, von einem anderen aus meiner Altersklasse locker überholt zu werden. Ich schaute mir seine Zeit an und setzte mir zum Ziel, das nächste Mal seine Zeit zu erreichen. Dann erreichte ich zwar seine Zeit, aber er war noch schneller geworden. Irgendwann war ich dann schneller, aber inzwischen ist er aus der Läuferliste verschwunden. Wahrscheinlich in das Loch gefallen, das sich bei den 5oern auftut.
Ansonsten brauche ich aber nicht unbedingt einen Konkurrenten, mein Ziel ist mehr, eine bestimmte Zeit zu erreichen, ein Tempo bis km 28 durchzuhalten und dann auf den Kampf gegen die innere Müdigkeit zu setzen. Es geht mir mehr darum, ein inneres, selbst gesetztes Ziel zu erreichen, natürlich umso zufriedener, wenn auch ein guter Platz dabei herausspringt. Schon deswegen ziehe ich kleine Marathons vor. Auch wenn man dabei die letzten 15 Kilometer relativ einsam durch die Landschaft trabt.
Laufen ist natürlich eine Leistung, eine Anstrengung, eine Arbeit, die Lohn und Lob verdient. Aber auch wenn keiner da ist, der einen belohnt, bewundert und bejubelt, so ist es doch das innere Ideal, das zufrieden oder unzufrieden mit der Leistung ist. Mein Ideal ist mein kritischer Partner, den ich zufrieden zu stellen suche.
Dieses Ideal – was ist es, woher kommt es? Bin ich es, habe ich es gewählt? Habe ich mich in es verliebt? Teile ich es mit anderen und entspreche einem allgemeinen Ideal?
Läufer, die einen Wettbewerb ablehnen, weil sie den Kampf als aggressiv, egoistisch und antisozial ablehnen, lässt sich entgegenhalten, dass der Wettbewerb doch eine soziale Veranstaltung ist, wo die Selbstüberschätzung eine Grenze findet und der Einzelne Bescheidenheit lernt – sieht man von den Gewinnern ab. Ein anderer Grund, den Wettbewerb abzulehnen, liegt in der Verbindung des Wettbewerbgedankens zu einer sozialdarwinistischen Ideologie, die zu der Vorstellung führt, dass wirtschaftlichen Überleben oder Profitierens Privileg einer durch Erbe und Gene gut ausgestatteten Minderheit ist. Jeder Läufer schleppt so eine Menge negativen Zeitgeists mit: die Gesellschaft als Kampf ums Überleben, anstelle einer kooperativen Gesellschaft.

30.06.08

IM FITNESSCENTER

Mitte Dezember war ich beim Orthopäden, der mir ein Vorbeugungsprogramm – Rückentraining verschrieben hat, organisiert von der örtlichen AOK. Dort wurde ich auf Mitte Januar verwiesen, bis das Programm zusammengestellt wäre. Ende Januar bekam ich dann einen Termin für Ende Februar.
Das Programm besteht aus 2 Teilen:
- Ein Kurs aus 5 Stunden (3 Voraussetzung für die Teilnahme an Teil 2) in der Gruppe (ca. 12) in 5 Wochen
- Training an Geräten, Stretching usw. - individuell, 19 Einheiten in 3 Monaten, bei Programmerfüllung erhält man 25 € Kaution zurück.

In den Kursen wurde in der Regel zuerst Theoretisches behandelt (Rückgrat, Aufbau, Bandscheibenvorfall, richtige Haltung, Aufstehen, Sitzen, Gehen), dazu dann viele Übungen, die ich allerdings leider meistens vergessen habe, da sie jede Stunde wechselten.
Interessant welche Leute an dem Kurs beteiligt waren: 9 Frauen, 3 Männer. Alter ca. 25 bis 58. Manche waren sehr unbeweglich und korpulent, andere durch Schmerzen bewegungsreduziert, eine Dame mit Gummigelenken.

Dann das individuelle Fitnessprogramm: Ein Sportlehrer macht seine Diagnose und entwirft ca. 15 Übungen für ca. 1 bis 1½ Stunden. Bei mir ist das nach 10 Minuten Aufwärmung am Crosstrainer (mit Musik eine nette Sache, ich nehme Schuberts aufmunternden ersten Satz der 6. Sinfonie, echte Bewegungsmusik).
- Kletterwand
- Balanceübung auf wackligem Untergrund
- Bauchmuskelübungen auf der Matte
- Ähnliches mit großem Ball
- Stretching, mit verschiedenen Varianten
- Bauchmuskelübungen an zwei verschiedenen Geräten
- Oberkörper an einer Maschine
- Beine seitwärts bewegen an zwei Maschinen

Schön absurd, wenn ich bei den Cardiogeräten Menschen sehe, wie sie auf dem Laufband (mit Fernsehprogrammen vor sich) laufen, trotten oder in der Regel nur gehen. Phlegma scheint das größte Problem sein.
Ich finde das Programm und die Übungen nicht uninteressant, denke aber, dass die Problematik der Teilnehmer weniger in muskulären Defiziten als in psychischen Problemen besteht.
Spürbar war das etwa, als wir voneinander abgewandt im Kreis auf der Matte lagen und sich ein depressives Gefühl breitmachte, eine Lust, liegen zu bleiben und nicht mehr aufzustehen, etwas wie Trauer, Resignation und Verzweiflung. – Eine Teilnehmerin (in Rosa) beklagte sich, es wäre so traurig, man sollte doch mehr mit (fröhlicher) Musik arbeiten.
Wie man mit diesen Gefühlen umgehen soll, weiß ich nicht, aber Verleugnung durch Musik oder Muskelstärkung dürften da nur begrenzt helfen.
Jetzt habe ich innerhalb 3 Monaten alle 19 Stunden absolviert, aber nur einmal jemanden aus meinem Kurs getroffen. - ?? – Besonders wenige Leute waren im Center, wenn es schlecht Wetter ist. Bei schönem Wetter wurde fleißig auf dem Laufband gewalkt und alle 5 Minuten zur Flasche gegriffen.

24.06.08

WANDERWOCHENENDE ALB

Eigentlich wollte ich in dieser Gegend eine lange Laufrunde drehen, aber Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmittel ist schwierig, und die Kombination Rad – Laufen mir jetzt noch zu schwer. Also sind wir am Freitag mit dem Rad zu einem Zeltplatz gefahren und dann am Samstag eine Runde am Albrand mit seinen Einschnitten gewandert.
Durch Wimsen, Glastal, die Lauter, das Wolfstal, oberhalb der Donau, entlang der Braunsel - ein Fluss nur 920 Meter lang - insgesamt 36 km. Schweißtreibend auf und ab, über 600 Meter. Der Wechsel der Landschaften beeindruckend: Kalkfelsen, Höhlen, Wasserfälle, üppige Vegetation, großartige Ausblicke, intime Schluchten. Das Essen am Ende - neben dem Kloster - war miserabel, das Bier gut.
Vögel: Wachtel, Weihe, Milane, Bussarde, Falken, Reiher, Störche. Für Eisvogel und Biber an der Braunsel hat die Zeit nicht gereicht.

15.06.08

LAUFEN UND FLIESSBAND

Was hat Laufen mit Fließband zu tun?
Es gibt Kulturkritiker, die meinen, dass die Freizeit den Charakter der Arbeit annimmt und vom selben Leistungsdruck und der gleichen Konformität beherrscht wird wie die Arbeitsverhältnisse.
Am Fließband zieht die Zeit gleichförmig vorbei, besteht aus sich immer gleich wiederholenden Tätigkeiten. Die Zeit ist ein langer gleichmäßiger Strang, der sich unterteilt in Stunden, Minuten, Sekunden.
Wenn ich meine 12 km-Runde laufe und auf die Uhr schaue, sehe ich km 1: 5 Minuten, Kilometer 2: 10 Minuten. Problemlos schaffe ich die Kilometer sekundengenau zu laufen. Oder wenn ich trainiere, denke ich an einen anstehenden Marathon, denke an Kilometer 25, Kilometer 30, wo es endlich spannend wird. Bis dahin ist es leicht, stetig zu laufen. Es läuft wie am Band und ich laufe wie eine Maschine.
Das Laufband ist reine Zeit und Bewegung. Die Strecke ist die Immergleiche. Es wird nur dadurch erträglich, dass man sich seine übliche Laufstrecke vorstellt: jetzt bin ich da, es sind noch so und so viele Kilometer bis zum Ziel.
Als Arbeiter am Band rechne ich meine Arbeitszeit in Lohn um, rechne, wie viel ich noch zu arbeiten habe, wann Halbzeit ist usw. Irgendwann verschwindet die Arbeit aus dem Vordergrund des Bewussteins und die Gedanken gehen anderswohin, Fantasien tauchen auf. Der Körper stellt sich auf die Zeiten ein. Was am Anfang unerträglich war, wird zur erträglichen Gewohnheit.
Wie am Band ist die Lauftätigkeit auf die Dauer einfach. Im Laufe der Zeit liegt der Reiz in der Abwechslung, in der Beschleunigung. Er macht die leere Routine wieder interessant. Wie am Fließband ist beim Laufen der Kopf relativ frei. Die Gedanken gehen ihre eigenen Wege, werden assoziativ, verlieren die logische Strenge, die bei Diskussionen, Gesprächen, beim Schreiben verlangt wird. Die Gedanken gehen auf Abwege, verlaufen sich.
Aber anders als am Band, wo die Arbeit hauptsächlich dadurch erträglich ist, dass ein Ende durch die Freizeit absehbar ist, gewinnt das Laufen Sinn durch den Wechsel der Umgebung, den Wechseln der Natur, durch das Vorwärtsbewegen in der Landschaft, das Aufkommen von Fantasien.
Sinn und Antrieb kommen beim Laufen von innen. Wir sind es, die uns bewegen. Wir steuern das Tempo, bestimmen Anfang und Ende.

Ich bin noch nicht zufrieden mit dem, was ich geschrieben habe. Ich habe von Ähnlichkeiten und Unterschieden geschrieben. Aber gibt es eine Beziehung? Das Fließband ist das Resultat einer hoch organisierten Arbeitsteilung. Lässt sich das auf einen Läufer übertragen? Ist er Teil einer Arbeitsteilung?
Gut, sein Gehirn ist entlastet, die Bewegungen sind automatisiert. Oft geht Laufen mit „Abschalten“, zerstreutem und unkonzentrierten Denken einher. Das bedeutet, dass das Zentrum der Motivation außerhalb des Läuferbewusstseins ist: Er läuft, weiß aber nicht warum. Die tausend Gründe, die sich nennen ließen, überzeugen mich nicht, schon deswegen weil es so viele sind. Augenscheinlich sind es recht zwecklose („spielerische“) Bewegungen, manchmal mit Fantasien begleitet, Selbstgesprächen oder imaginären Gesprächen, Tagträumen und ähnlichem, Körpererfahrungen, vielleicht Landschafts- und Naturerlebnissen. – Aber so, wie der Kopf der Arbeitsorganisation außerhalb des einzelnen Teilarbeiters, so ist auch hier der Läufer nur funktionierender Teil von etwas außerhalb seines Bewusstseins. Mag er es Ritual, Zwang, Gewohnheit, Fitnesskult, Gesundheitskultur, Natur und Ähnliches nennen.
Jetzt muss ich doch, wenn ich das Laufen so mystifiziere, ein Gedicht von Juan Ramón Jiménez zitieren, das für mich beschreibt, wie der Mensch in seinem Leben nicht mit sich selbst identisch ist und sich deswegen bewegen muss:

Ich bin nicht ich.

Ich bin jener,
der an meiner Seite geht, ohne daß ich ihn erblicke,
den ich oft besuche,
und den ich oft vergesse.
Jener, der ruhig schweigt, wenn ich spreche,
der sanftmütig verzeiht, wenn ich hasse,
der umherschweift, wo ich nicht bin,
der aufrecht bleiben wird, wenn ich sterbe.

Vielleicht ist es eine Art „Körperseele“, die mich Laufen macht. Was das sein soll? Ich werde versuchen, das zu verstehen und ein andermal verständlich zu machen.

06.06.08

RHYTHMUS UND ZEIT

Laufen hat viel mit Rhythmus zu tun: links und rechts, auf und ab, fallen und abstoßen. Laufen ist viel mehr als Gehen mit dem Tanzen verwandt. Deswegen, weil diese Auf- und Ab-Bewegung betont wird. Aber anders als das Tanzen ist es beim Joggen gleichförmige Bewegung. Der Takt kommt auch von innen, dem Gehirn des Läufers, und nicht von der Musik außerhalb des Ohrs.
Die Urform der menschlichen Erfahrung von Zeit ist der Rhythmus: Tag – Nacht, der Wechsel der Jahreszeiten, der Herzschlag, das Ein- und Ausatmen. Das ist lebendige Zeit. Sie lebt von Wiederholungen in Kreis- oder Spiralbewegungen.
Die Uhr, mit der der Läufer seine Zeit misst, ist eine andere Form der Zeit. Obwohl die Urformen der gemessenen Zeit aus physikalischen Schwingungen besteht, ist ihre Idealform eine endlos lineare. Eine Art Linie, die endlos nach vorne geht. Sie ist nicht mehr an Lebendiges gebunden und – so zumindest unsere Vorstellung – existiert außerhalb von uns und ohne uns.
Die Uhrzeit macht den einzelnen Lauf mit anderen Läufen und anderen Läufern vergleichbar. Es ist wie eine Vorform der Geldform, die ja auch das „Inkommensurable kommensurabel“, also das Unvergleichliche vergleichbar macht. Wenn ich also mit der Uhr laufe – die Uhr ist auch ohne am Arm zu sein im Kopf immer da – bin ich ein soziales Wesen, einer der sich mit anderen vergleicht. Ich nehme an, dass wir erst als sozial durchorganisierte und zeitdisziplinierte Wesen auf die Idee des Joggens kommen. Das Ideal dabei ist die Maschine. Sie läuft stetig, konstant und verlässlich, ohne Launen und Zicken. (Zeigt aber eine Maschine solche Launen und Zicken, werden wir wütend auf sie und behandeln sie wie einen Menschen.)
Ich nehme an, dass die Idee des Dauerlaufs mit dem Aufkommen und der Bewunderung für Maschinen zu tun hat. Eine Maschine aber ist seelenlos und wesenlos. Sie besteht aus verschiedenen Teilen, die man austauschen kann, und dient einem bestimmten Zweck. Einen eigenen Willen soll sie nicht haben.
Aber zurück zur Zeit. Ein Läufer mit Uhr bewegt sich in der linearen Zeit, also auf einer endlosen Zeitlinie. [Ewigkeit hat man sich so als endlos vorgestellt. Seit der Relativitätstheorie ist Zeit nichts mehr Absolutes – sondern endlich. In den „schwarzen Löchern“ etwa gibt es keine Zeit mehr.]
Dagegen die rhythmische, „lebendige“ Zeitvorstellung. Ob das aber noch Joggen ist?

27.05.08

ZURÜCK

nach 45 h unterwegs, 14 im Bus, 13 im Zug, 1 Stunde zu Fuß. Hier Landschaft sattgrün, mit geraden Wege, rechten Winkeln, abgegrenzten Flächen und zivilisierter Langeweile. So viel anders als das mediterrane Wirrwarr und Zickzack, diesen Sprüngen zwischen Chaos und Kultur.
In der Zwischenzeit ist hier alles üppigst gewachsen - wir schneiden und schneiden. So will es die Kultur.
Aber das Pfaffenhütchen an meiner Laufstrecke hat sich weihnachtliches Engelshaar angezogen. Dieses Jahr fallen die Raupen in ihrer Not sogar über die Brennnesseln auf dem Boden her.



21.05.08

INS GEBIRGE

Heute sind wir hoch ins Gebirge gelaufen, zuerst eine halbe Stunde durch die Stadt, über den ersten Straßenring, der die Stadt umgibt, dann unter den zweiten, einen Autobahnring. Und was erleben wir dann oberhalb? Riesenfahrzeuge, Caterpillars, einen abgetragenen Berg, eine große neue Brücke ohne Anschluss. Oberhalb des Autobahnrings wird der nächste Autobahnring gebaut: ein so genannter „Superring“. Wir schlagen uns durch Staub und Dreck hindurch, rennen höher. Noch ein paar kleine Farmen, dann Ruhe und Frieden. Sounds von Vögeln und Insekten, Schmetterlinge, Gerüche von Gewürzen (und natürlich Flugzeuge …). Nach über 10 km sind wir 540 Meter gestiegen und drehen wir wieder um, die Landschaft mit Bergen, Stausee, Stadt und Meer unter uns.



20.05.08

LAUFEN IN EINER STADT

Das Laufen hier ist eine anspruchsvolle Sache. Es geht über Stock und Stein, eine gute Übung für das Koordinationsvermögen. Da sind einige Hindernisse zu bewältigen:
Autos, und Ampeln
enge Wege
Löcher
Steine, Bordsteinkanten
Brücken
Hundehaufen




Dafür gibt es aber:
Drei Arten am Strand zu laufen: auf der Promenade, dem Radweg, einem breiten Weg für die Bummler und Flaneure oder im Sand

Weite Wege unter blühenden Bäumen in Sonne und Schatten

Treppen, Treppen zu unserem Block.