Oft mündet die vitalistische Philosophie in eine Art von Irrationalismus, bei dem Vorrangigkeit und Überlegenheit der Spontaneität, Impulsivität und Kreativität gegenüber dem zweckvollen und vernünftigen Handeln gepriesen wird. Nietzsche etwa stellt das „Leben“ in Gegensatz zum Räsonieren, vernünftigen Überlegen. Es ist Tat, Handeln, Aktivität im Unterschied zum Überlegen, zur Vernunft. („Am Anfang war die Tat“ heißt es in Goethes Faust).
Was hat das nun mit dem Laufen zu tun? Auch hier lehnen es manche Läufer ab, sich über das Laufen und seine Motive Gedanken zu machen. Es macht Spaß oder sonst was, ist Ausdruck eines Lebensbedürfnisses, als Bewegung einfach lebensnotwendig. Es heißt, man sollte nicht alles hinterfragen, analysieren, begründen oder denunzieren. Solange es Spaß macht, braucht man sich darüber keine Gedanken zu machen.
Mir, der ich immer wieder unter Laufdrang „leide“, erscheint das unbefriedigend und ich möchte begreifen, was den Sinn meines Laufens ausmacht. Grob gesagt kommt mir Laufen als eine teilweise irrationale Verhaltensweise vor, die das, was sie insgeheim anstrebt, nicht erreichen kann, weil ihr das Bewusstsein darüber fehlt. Und deswegen muss sie sich tendenziell im Kreise drehen und Formen annehmen, die ihren eigentlichen Motiven fremd oder nicht zentral sind: Zwang, Ritual, Leiden, Langeweile, Routine, Leistungszwang, narzisstischer Körperkult, egozentrische Selbstdarstellung, Exerzieren von Überlebenskampf und Überlegenheit.
Nicht dass ich mit Laufen aufhören will. Mein Laufdrang ist viel zu stark. Aber ich würde ihm gerne einen kreativen Sinn geben. Etwa in der Landschafts- und Naturerfahrung. Zugleich will ich etwas über mich selber erfahren, über die menschliche Natur und Existenz. Wenn ich laufe, bewege ich mich in einem Rahmen möglicher Motive und Ziele, der mir durch meine Geschichte, das Leben in der heutigen Gesellschaft und meine menschliche Natur vorgegeben sind. Aus einem Laufdrang soll eine sinnvolle Aktivität werden.
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