28.07.08

LAUFEN, HOSPITALISMUS – SONST NOCH WAS?

Als ich diese Gedanken zum ersten Mal geäußert habe, bin ich auf heftigen Protest gestoßen. Ich sehe die Bilder von sich hin und her wiegenden Menschen und frage mich, ob Laufen nicht auch ein wenig dazu gehört. Es gibt diese Szene in Truffauts Film „Der Wolfsjunge“ über einen von seinen Eltern ausgesetzten Jungen, der sich im Mondschein hin und her wiegt. Man kennt es von hospitalisierten Kindern. Es ist eine Regression auf eine frühe menschliche Beziehung, das Sichtragenlassen vom Rhythmus eines (mütterlichen) Körpers, seines Herzschlags und Atems. Die Erfahrung des eigenen Körpers reduziert die Außenwahrnehmung und ein freies Denken, Phantasieren, Fühlen wird dominant. Die hospitalisierten Kinder schaukeln sich in eine Trance, sind „weg“ und könnten nachher nicht mehr erzählen, was in ihnen da vorgegangen ist.
Natürlich ist das beim Laufen anders. Zwar drehen sich die Gedanken ab und zu im Kreise, bewegen sich zwischen Zerfahrenheit und Konzentration, aber nur die wenigsten werden das Bewusstsein verlieren und den kritischen Verstand. Auch wenn ein böser Kritiker der Läufer einmal gemeint hat, man solle sich beim Joggen nur einmal Ohrstöpsel in die Gehörgänge stecken, um zu hören, wie bei jedem Tritt das Gehirn an die Schädeldecke knallt und es so auf die Dauer schleichend zerstört.

Neben oberflächlichen Parallele gibt es aber, so denke ich, noch andere Gemeinsamkeiten. Wenn man läuft, schaltet man ab, lässt Manches hinter sich, lebt in einer anderen Welt. Immer ist Laufen mit Distanzierung und Weggehen, vielleicht sogar Trennung verbunden (und wieder nach Hause laufen, heimkehren??). Das Laufen ist eine einfache rhythmische Bewegung. Das erleichtert das freie assoziative Denken. Als „Brainstorming“ kann es auf neue Ideen bringen, aber Selbstbeobachtung kennt auch Gedanken, die sich ständig im Kreise drehen. Oft nach „Auseinandersetzungen“. Tiere in Gefangenschaft bewegen sich ruhelos hin und her.

Diesen etwas dunklen Gedankengängen wird ein Läufer dagegenhalten: Ich laufe, weil ich die Natur liebe; ich laufe für meine Fitness; ich will mich beweglich halten; ich liebe die Bewegung. Das Gleiche kann ich auch für mich sagen. Aber jede menschliche Sache hat mehrere Ursachen.

17.07.08

NOCHMAL WETTKAMPF


Heute bin ich im strömenden Regen "flott" gelaufen, 12 km mit 4:50, und musste an die Toten vom Zugspitzlauf denken. Schon als ich beim Loslaufen einen Nachbar getroffen habe, musste ich annehmen, was er über diese „Spinnerei“ denkt. Ich bin kein Bergläufer, die paar Hundert Meter rauf und runter mal abgesehen. 500 km zu fahren, nur für einen Berglauf, nee. Bergwandern, ein bisschen Bergsteigen, einige über 2500, 3000 und einer über 4000, okay. Ist ja auch schon anstrengend.
In der Nichtläuferszene ist die Meinung anscheinend eindeutig: der Berg wird als Sportgerät missbraucht. Im
Bayern 2 Tagesgespräch vom 14.07.08 sind es vor allem die Bergwanderer von der Harmonie- und Jodelfraktion, die nun ihre negativen Erfahrungen mit Bergläufern loswerden wollen, die gegen alle ihre hochheiligen Regeln von Bekleidung und Vorsichtsmaßnahmen verstoßen. Man sieht: der Läufer nervt, weil er sich im Wettkampf am Berg an die Spitze setzt.
Eine andere Sache ist, dass Laufen mit Ehrgeiz verbunden ist. Ehrgeiz hat aber zwei Seiten.
Auf der einen Seite ist es ein Ausscheren aus der Norm, der Einigkeit mit anderen. Der Läufer ist schneller als die anderen, härter gegenüber sich selber. Noch mehr: Oft ist Laufen ein (zeitweiliges) Ausbrechen aus sozialen Bindungen, ist (trotz Lauftreffs) eine Art des Privatisierens und Sich Isolierens. Es ist darüber hinaus eine intensive Art der Selbstwahrnehmung, der Beschäftigung mit sich selber. Ja – Narzissmus. Ich laufe und bin mir dabei bewusst, dass ich mehr bringe als andere. (Ein gutes Gefühl? - Wenn da nicht die Zweifel wären, ob es nicht sinnvollere und nützlichere Arten gäbe, die Zeit zu verbringen. Oder die Gedanken, dass es da noch so viele nicht erledigte Aufgaben gibt.)
Auf der anderen Seite zeigt sich der Läufer paradoxerweise gerade in seinem Ehrgeiz als soziales Wesen. Die Ehre ist eine Sache, die uns in der Erziehung implantiert wird, und soziale Wertschätzung oder Verachtung ist eine tägliche Erfahrung, die jeder machen kann.
Jetzt mag man einwenden, dass dieser kämpferische Ehrgeiz, der es den anderen beweisen, sie niederzwingen und dominieren will, doch eigentlich recht asozial ist, sozial inhalts- und wertlos.
Ja, vielleicht.
Vielleicht ist man in dem Bestreben, stärker, härter, schneller als andere zu sein, eine gefühllose Kampfmaschine geworden. Gefühllos gegenüber dem eigenen Körper, der nicht mehr kann und will. Und hilflos gegenüber der Erfahrung der eigenen sozialen Schwäche und Unterlegenheit.

05.07.08

LAUFEN IM WETTBEWERB

Ich bin von Natur aus wohl eher ein Mensch, der schnell genervt ist und vielleicht auch andere nervt und in vielen Polemiken lebt.
Zum Laufen bin unter Anderem auch durch den Überdruss an Menschen gekommen, die über Krankheiten jammern, und denen ich beweisen wollte, dass man auch in reiferen Jahren noch leistungsfähig und aktiv sein kann.
Denke ich darüber nach, was mir am Laufen Spaß macht, so ist es weniger oder nicht nur die Freude am Laufen, sondern oft mehr der Stolz darauf, gewisse Strecken absolviert zu haben, das Gefühl etwas außerhalb des Normalmaßes erreicht zu haben. Zu den „schönsten“, meint eher den befriedigendsten Läufen zähle ich weniger die Marathons, eher die Langläufe, 30 km und drüber, in der kälteren Jahreszeit, hoch und runter, die Flasche auf dem Rücken, einsame Strecken. Vielleicht gelaufen in dem Gefühl, dass es mir keiner nachmacht. Anders beim Marathon.
Natürlich zieht mich der Wettbewerb an. Die Uhr ist wichtig zur Beurteilung meiner Leistungen, das Gefühl, mich etwas verbessert oder eine alte Leistung erreicht zu haben. Wettbewerbe bin ich immer so angegangen, dass ich mein Optimum bringen wollte, also Training nach Plänen, Tempotraining, Steigerung usw. Eine Zeitlang habe ich das Ziel verfolgt, unter 3 Stunden zu laufen, war im Training über 100 Wochenkilometer, aber sei es durch Übertraining, falsches Timing oder einfach körperliches Limit, habe ich dieses Ziel nicht erreicht und inzwischen aufgegeben.
Den ersten Marathon habe ich ganz gut gemanagt, musste es mir aber gefallen lassen, von einem anderen aus meiner Altersklasse locker überholt zu werden. Ich schaute mir seine Zeit an und setzte mir zum Ziel, das nächste Mal seine Zeit zu erreichen. Dann erreichte ich zwar seine Zeit, aber er war noch schneller geworden. Irgendwann war ich dann schneller, aber inzwischen ist er aus der Läuferliste verschwunden. Wahrscheinlich in das Loch gefallen, das sich bei den 5oern auftut.
Ansonsten brauche ich aber nicht unbedingt einen Konkurrenten, mein Ziel ist mehr, eine bestimmte Zeit zu erreichen, ein Tempo bis km 28 durchzuhalten und dann auf den Kampf gegen die innere Müdigkeit zu setzen. Es geht mir mehr darum, ein inneres, selbst gesetztes Ziel zu erreichen, natürlich umso zufriedener, wenn auch ein guter Platz dabei herausspringt. Schon deswegen ziehe ich kleine Marathons vor. Auch wenn man dabei die letzten 15 Kilometer relativ einsam durch die Landschaft trabt.
Laufen ist natürlich eine Leistung, eine Anstrengung, eine Arbeit, die Lohn und Lob verdient. Aber auch wenn keiner da ist, der einen belohnt, bewundert und bejubelt, so ist es doch das innere Ideal, das zufrieden oder unzufrieden mit der Leistung ist. Mein Ideal ist mein kritischer Partner, den ich zufrieden zu stellen suche.
Dieses Ideal – was ist es, woher kommt es? Bin ich es, habe ich es gewählt? Habe ich mich in es verliebt? Teile ich es mit anderen und entspreche einem allgemeinen Ideal?
Läufer, die einen Wettbewerb ablehnen, weil sie den Kampf als aggressiv, egoistisch und antisozial ablehnen, lässt sich entgegenhalten, dass der Wettbewerb doch eine soziale Veranstaltung ist, wo die Selbstüberschätzung eine Grenze findet und der Einzelne Bescheidenheit lernt – sieht man von den Gewinnern ab. Ein anderer Grund, den Wettbewerb abzulehnen, liegt in der Verbindung des Wettbewerbgedankens zu einer sozialdarwinistischen Ideologie, die zu der Vorstellung führt, dass wirtschaftlichen Überleben oder Profitierens Privileg einer durch Erbe und Gene gut ausgestatteten Minderheit ist. Jeder Läufer schleppt so eine Menge negativen Zeitgeists mit: die Gesellschaft als Kampf ums Überleben, anstelle einer kooperativen Gesellschaft.