30.11.08

LAUFEN MACHT KEINEN SPAß

Warum laufe ich trotzdem?

Antworten, die ich bis jetzt gefunden habe:

- ich will fit sein und beweglich bleiben - aber verliere dabei viel Energie
für andere und oft dringendere Aktivitäten.
- ich muss mich bewegen, Zappelphilippsyndrom? Zwang? Ich komm nicht dahinter.
- Es gibt gesundheitliche Gründe, aber auch solche, die dagegen sprechen.
- Es ist eine Angeberei; wer läuft, zeigt sich anderen überlegen und erzwingt sich ihren Respekt. Und beweist seine Bedürftigkeit nach Anerkennung von anderen.
- Exhibitionismus: schaut mal, was ich drauf habe.
- Sadomasochismus: Sadismus: ich bin anderen überlegen. Masochismus: Ich muss leiden, weil ich nicht gut genug bin.
- Ich brauche körperliche Erfahrung. Das befreit mich von schlechten Gedanken. Aber die wirken jetzt im Hintergrund.
- Ein guter Lauf kompensiert für soziale Bedeutungslosigkeit
- Die freie Landschaft ist mein Raum. Aber in Wirklichkeit ist sie ein Geflecht von Äckern, Baumplantagen und Straßen. Natur ist nur noch ein Rest, eine Art Müll der ökonomischen Verwertung.
- Ich fühle mich frei beim Laufen. Die Gedanken haben Ausgang, - um sich dann aber im Kreis zu drehen.
- Beim Laufen bin ich bei mir selber. Rhythmus von Beinen, Herzschlag und Atmen. Am Ende bin ich aber doch wieder der alte.
- Die körperliche Bewegung konfrontiert mich mit meinem eigenen Körper. Ich erlebe Phasen von Hochstimmung und überkomme damit vielleicht ein basales Gefühl der Niedergeschlagenheit. Ich bin im Zentrum meiner Sinne. - Gedanken und äußere Wahrnehmungen sind sekundär.
- Ich gehe in Natur auf und sondere mich von der Gesellschaft ab.
- Ich lerne Landschaft kennen, ihr Relief, etwas von ihrer Geschichte, die Gefälle, in denen sich das Wasser bewegt, die Steigungen und Tobel, wo sich noch ein wenig wilde Natur erhalten hat – aber in der Regel trotte ich in der Ebene.
- Ich tauche in das Leben der Generationen vor uns ein, die noch zu Fuß gegangen sind und in die große Welt derer, die heute noch zu Fuß gehen.
- Der landschaftliche Raum ist etwas, was ein individuelles Leben überdauert, ist der Ort einer langen Geschichte von Pflanzen, Tieren und Menschen. Wenn ich mich darin bewege, teilt sich mir etwas davon mit. Konstanz in der Bewegung.
- Laufen kann ein symbiotisches Lebensgefühl in einem narzisstischen Gefühlsfludium vermitteln. Es reicht vom bewussten Läuferstolz und Hochgefühlen über Erlebnisse von Einklang mit der Landschaft und Natur, dem Gefühl von „flow“, dem Erlebnis von Befriedigung durch den Rhythmus des Laufens bis hin zum vorsprachlichen Erlebnis von Abwesenheit, sei es in Zwang, Sucht oder Ekstase. Manchmal ein Erlebnis von „Dauer“, das Nichtenden der Zeit in einem positiven Sinne.

27.11.08

ÜBERLEGUNGEN

Derzeit überlege ich mir für nächstes Jahr einige größeren Laufprojekte, einen 65 km langen gebirgigen Marathon und einen über 82 km mit 4 Bergen. Ich will mich nicht in Abenteuer stürzen, sondern die Läufe gut vorbereitet angehen. Es soll nicht in Leiden und Abbruch ausarten, darf aber anstrengend und im Verlauf nicht zu Hundert Prozent berechenbar sein.
Schon die Planung ist aufregend. Kartenstudium, Berechnungen, Einholen aller möglichen Informationen: Wo kann ich einkaufen, wie ist das mit dem Übernachten, wie bereite ich mich auf die Kälte vor, wie organisiere ich das Training, reduziere die Ausrüstung auf ein Minimum, usw.
Der letzte lange Lauf hat mich mehr erschöpft als gedacht. Am Sonntag in windiger Kälte (-3°, Windstärke 5) anstrengende 23,6 Kilometer in 2h13min. Zwar war das Wetter schön, ich aber steif und eingefroren. Außerdem eine Menge von Walkern und Spaziergängern, die sich in „meiner“ Landschaft bewegen.
Am Montag dann Herpes, Zeichen für eine Grenze. Gestern eine Zerrung in der Kaumuskulatur. ….kälte. Nach dem Laufen Schmerzen da und dort. Wenn ich dann noch von die Begeisterungsausbrüche mancher Laufblogger lese, bin ich ganz genervt und werde empfindlich gegenüber Euphorikern. Muss wohl mir irgendwas Motivierendes einfallen lassen. Etwa derart: die Zellen von Ausdauersportlern wären
um 10 Jahre jünger. Hört sich an wie die Lüge von Youngforever. Hat eine andere Untersuchung festgestellt, ein BMI von 24 wäre ideal für die, die lange leben wollen. (Die drunter würden vornehmlich an „Erkrankungen der Atmungsorgane“ sterben - ?? Sind damit die ausgezehrten Raucher gemeint oder die keuchenden Runner?)

16.11.08

LAUFKATER

War nach den 63 km mit zu rechnen. Körperlich ging es ja. Nur ein paar Wehwehchen, eine am Knöchel, wie üblich die Strecker. Am schlimmsten ein großer blauer Fleck auf dem Rücken vom Rucksack. Ich werde mir da was einfallen lassen müssen. – Aber da waren noch andere Symptome: Keine Lust auf Sonne, freie Natur. Dann ein mieses Selbstgefühl, das ich aus meiner Vorläuferzeit kenne; nämlich die Gedanken an all die Sachen, die ich nicht geschafft habe oder was ich falsch gemacht habe.
Vielleicht verdränge ich durch das Laufen dieses normalerweise in mir nagende und fressende negative Lebensgefühl.
Dabei war meine schlechte Laune weniger Ausdruck der Schwäche als der damit erworbenen Kraft, den Tatsachen etwas in die Augen zu sehen. Na ja, - wenigstens für ein paar Tage.
Schon am übernächsten Tag flotte 8 km. Und gestern bin ich mit dem Rad noch einmal die ganze Strecke abgefahren, um sie genauer abzumessen, leider waren es nur 63 Laufkilometer, insgesamt 125. Aber auch hier wieder diese merkwürdige Mischung von Sonnenschein und üblem Gestank nach Gülle und Schweinemist.
Aber schon wieder Pläne für das nächste Abenteuer: 55 jeweils für Hin und Her mit dem Rad und dazu noch 33 km laufen in bergigem Gelände. Am besten in Raureif und Nebel, winterlich düster.



08.11.08

Projekt 63 - no fun

Nach dem Marathon, den 45 und 57 km habe ich mich vorbereitet genug gefühlt, einen richtig langen Lauf zu machen. Das Problem war nur, dass ich, um an den Ort zu kommen, wohin ich wollte, zuerst mal 31 km mit dem Rad fahren musste.
Also bei 7° los, locker auf die Wasserscheide Atlantik/Mittelmeer hoch geradelt und dann mit 4,5 kg Logistik auf dem Rücken losgelaufen. Die erste Halbmarathonstrecke noch mit 5:45 den Kilometer. Schwierigkeiten nach dem Radfahren einen Rhythmus zu finden. 15 Minuten bis die Füße aufgewärmt waren, Hektik, umständliches Hantieren beim Flaschendeponieren und Fotografieren. Die Schritte mit ~168 BPM im Allegro.
Bei der zweiten Halbmarathonstrecke erste Probleme mit dem Magen. Die zwei Müsliriegel waren zuviel für den Magen, er wollte nicht mehr verdauen. Auch der Rucksack malträtierte meinen Rücken übel. Punkt 12 war ich an meinem Ziel. Jetzt ging es im Donautal entlang und dann wieder hoch. Nach Steigung mit 4:04 die Marathonstrecke geschafft. Die Landschaft um mich war zwar historisch aufgeladen mit Keltenschanzen, Soldatenfriedhof napoleonischer Kriege, Rückzugshöhlen aus den Religionskriegen – aber ich hatte nur ein schnelles und verwackeltes Auge dafür.
Einbruch dann zu Beginn des letzten Drittels der Strecke; Müdigkeit, der Magen, der nicht mehr wollte - ich konnte nur noch gehen. Krähenschwärme, die auf mich als Beute warteten – ihre Kontrahenten, die Dohlen, auf dem Rückzug. Im Gehen esse ich noch einmal einen Riegel und der Magen - nun durch das Laufen nicht im Stress - akzeptiert ihn. Die beim Hinlauf deponierte Flasche lasse ich liegen. Langsam laufe ich wieder los, aber dann stoppen mich 16 Kilometer vor dem Ziel Krämpfe im Oberschenkel. Also pausieren und strecken. Nach dieser 5 km langen Krise – ich hatte schon geglaubt, nur noch gehen zu können – läuft es wieder. Freilich anders als vorher: Diesmal trägt mich der Körper; wie mechanisch läuft er um die 6:00 je Kilometer. Ich selber spüre nur die Schmerzen. Es ist als hätte mein Körper mit mir ein Arrangement getroffen: ich laufe für dich, aber die Schmerzen musst du ertragen. Die letzten 10 km mit 5:56.
Die 63 km in brutto 6:33. Höhenmeter ~400 m. 2,5 l Tee, 4 Riegel.
Heimfahrt ging bis auf wenige Krämpfe besser als gedacht und etwas flotter als die Hinfahrt.

Insgesamt war die Strecke no fun, mehr Willensleistung als Spaß. Viel leichter fielen mir 31 km mit 5:03/km in der Woche zuvor. Eine ähnliche Harmonie mit dem Körper hatte ich mir für die 65 vorgestellt. Aber gut, dass ich nicht wusste, was mich erwartete. Andererseits war die Überwindung der Krise eine neue Erfahrung.

01.11.08

LAUFEN, LEBEN

Es gab bis ins 19. Jahrhundert die Philosophie des Vitalismus. Er grenzt sich vom Materialismus dadurch ab, dass er im Leben eine Kraft annimmt, die auf einen bestimmten Sinn hinzielt und dadurch mehr ist als bloß die Wirkung einer physiologischen Ursache. In der daraus hervorgegangen Lebensphilosophie wird darüber hinausgehend die Kraft, die Unberechenbarkeit und Spontaneität des Lebendigen betont. Dies im Unterschied zu Überlegungen, die sich am erkennbaren Zweck, unmittelbaren Resultat, gesellschaftlichen Nutzen oder der moralischen Bedeutung orientieren. Das Leben – so ein Leitgedanke - neigt dazu, alle Ketten zu sprengen und Regeln außer Kraft zu setzen. In seiner Kreativität und Unberechenbarkeit geht es immer wieder über Gewohnheiten und alltägliche Vernunft hinaus, spielt verrückt, weist neue Wege und drängt zu neuen Zielen.
Oft mündet die vitalistische Philosophie in eine Art von Irrationalismus, bei dem Vorrangigkeit und Überlegenheit der Spontaneität, Impulsivität und Kreativität gegenüber dem zweckvollen und vernünftigen Handeln gepriesen wird. Nietzsche etwa stellt das „Leben“ in Gegensatz zum Räsonieren, vernünftigen Überlegen. Es ist Tat, Handeln, Aktivität im Unterschied zum Überlegen, zur Vernunft. („Am Anfang war die Tat“ heißt es in Goethes Faust).
Was hat das nun mit dem Laufen zu tun? Auch hier lehnen es manche Läufer ab, sich über das Laufen und seine Motive Gedanken zu machen. Es macht Spaß oder sonst was, ist Ausdruck eines Lebensbedürfnisses, als Bewegung einfach lebensnotwendig. Es heißt, man sollte nicht alles hinterfragen, analysieren, begründen oder denunzieren. Solange es Spaß macht, braucht man sich darüber keine Gedanken zu machen.

Mir, der ich immer wieder unter Laufdrang „leide“, erscheint das unbefriedigend und ich möchte begreifen, was den Sinn meines Laufens ausmacht. Grob gesagt kommt mir Laufen als eine teilweise irrationale Verhaltensweise vor, die das, was sie insgeheim anstrebt, nicht erreichen kann, weil ihr das Bewusstsein darüber fehlt. Und deswegen muss sie sich tendenziell im Kreise drehen und Formen annehmen, die ihren eigentlichen Motiven fremd oder nicht zentral sind: Zwang, Ritual, Leiden, Langeweile, Routine, Leistungszwang, narzisstischer Körperkult, egozentrische Selbstdarstellung, Exerzieren von Überlebenskampf und Überlegenheit.

Nicht dass ich mit Laufen aufhören will. Mein Laufdrang ist viel zu stark. Aber ich würde ihm gerne einen kreativen Sinn geben. Etwa in der Landschafts- und Naturerfahrung. Zugleich will ich etwas über mich selber erfahren, über die menschliche Natur und Existenz. Wenn ich laufe, bewege ich mich in einem Rahmen möglicher Motive und Ziele, der mir durch meine Geschichte, das Leben in der heutigen Gesellschaft und meine menschliche Natur vorgegeben sind. Aus einem Laufdrang soll eine sinnvolle Aktivität werden.