30.01.08

WIE LÄUFT ES?


Die Bandscheibe hat sich ganz zaghaft wieder zurückgemeldet und ich werde daran erinnert, wie gut es mir geht. Ein bisschen Taubheit, ein bisschen Kribbeln, aber dabei bleibt es.
Laufen macht es nicht schlechter.
Neben den üblichen 12-km Läufen waren da ein Lauf 6,5 km mit 4:39 und dann 21,1 mit 5:23. Dadurch geriet ich ins Rechnen: welche Zeit wäre damit bei einem Marathon möglich? Ich nehme mir die Tabelle „
Der Marathon - Zwischenzeitplaner mit Ermüdungsfaktor“ vor, setze das derzeit maximale Marathontempo ein - so um die 4:40 - und komme bei Einrechnung von Ermüdung von 8% ab Km 28 auf eine Zeit von ca. 3:25. Etwas hochgerechnet und hochgesponnen.
Der Ermüdungsfaktor wird in den meisten Plänen nicht eingerechnet. Die Erfahrung zeigt, dass ab ca. km 28 die Geschwindigkeit kontinuierlich nachlässt. Und zwar lässt sich das als stetige Zunahme der Zeit je Kilometer berechnen. Je länger die Gesamtzeit, desto größer dieser Ermüdungsfaktor. Mit gleichem Tempo durchzulaufen ist nur für die guten Profis möglich. Läuft ein Normaler in der zweiten Hälfte schneller als in der ersten, bedeutet das nur, dass er nicht schnell genug gelaufen ist.
Aber was träume ich da. Noch habe ich keine konkreten Pläne. Lasse es darauf ankommen, will erst mal die langen Läufe ausdehnen, dann vielleicht das Tempo steigern.
Bis jetzt werde ich durch die Adduktoren gebremst. Während des Laufs geht es noch, aber am Abend kann ich das Bein kaum mehr anheben.
In der letzten Woche ist mir beim Laufen die Kamera aus der Hand gefallen – kaputt. Es hätte so viele Motive gegeben: ein Silberfischreiher, eine Krähe mit weißen Flügeln (keine Elster), die Reiher, die auf Mäuse warten, eine Maus, die 2 Meter vor mir über den Weg springt und im gleichen Moment von einem Bussard gejagt wird. Schließlich der städtische Arbeiter, der im Regen mit einer Apparatur am Fahrzeug Laub vom Waldweg wegblasen will.

24.01.08

LÄUFERSTOLZ

Die meisten Läufer sind Wohlfühlläufer. Damit meine ich den Stolz der Läufer. Je nachdem wie sie geartet sind, fühlen sie sich stolz, wenn sie überhaupt gelaufen sind, oder wenn sie eine bestimmte Menge an Kilometer gelaufen oder wenn sie diese vielen Kilometer in einer bestimmten Zeit gelaufen sind. Ich gehöre zur letzten Gruppe. Ich gebe zu, ich bin stolz auf meine Leistung. Ich messe meine Kilometer, es gibt ja (so schön teure) Gerätchen dafür. Aber ich mach es billig: mit dem Rad oder über Google Earth. Über Strecken, die ich laufe, aber nicht gemessen habe, bin ich nicht glücklich. Es zählt nicht, es muss mindestens berechnet werden. Zum Beispiel im Urlaub bin ich Strecken abgerannt, die ich nicht messen konnte. Ich war so unzufrieden, dass ich schließlich die Fliesen auf der Strecke abgemessen, sie gezählt, die Zahl der Fliesen von Lichtmast zu Lichtmast gezählt und so die Strecke hochgerechnet habe.
Wenn schon keiner zuschaut, soll wenigstens mein eitles ÜberIch mit mir zufrieden sein können.
Ohne Uhr zu laufen, das würde ich nur mit höchster Disziplin schaffen. Nehme ich es mir vor, so erwische ich mich doch, wie ich auf die Uhr linse.
Während des Laufens rechne ich ständig den Durchschnitt aus, am Ende lege ich oft noch zu, um den Durchschnitt noch um eine Sekunde schneller zu bekommen. Später juckt es natürlich überhaupt nicht mehr, wie schnell oder langsam ich war. Abgesehen natürlich, wenn es um Bestzeiten, um Wettbewerbe geht.
Im Wettbewerb bildet sich eine Hierarchie mit Stars, guten Läufern und der Masse. Aber schon wenn man überhaupt läuft, zählt man, vergleicht man sich mit der Mehrheit der Sitzenden, Fahrenden, Spaziergänger und Walker, zur Elite.
Obwohl der Läufer also Bewunderung verdienen würde, ist die Resonanz nicht immer die, wie es sein sollte. Der Läufer stört die friedliche Natur, die Weile der friedlich dahin flanierenden Spaziergänger. Manchmal hetzt er und schnaubt wie ein Walross. Manchmal glaubt er zu spüren: Kommt der schon wieder? Hat er nichts Sinnvolleres zu tun? Ist er süchtig? Ist er ein Spinner?
Weil er sich so wenig gewürdigt fühlt oder weil er weiss, dass Nichtläufer ohnehin nicht verstehen, muss er beim Laufen also auch noch sein eigenes Publikum spielen: Der Blick auf die Uhr, die Kilometer. Rennen gegen die Uhr. Die Uhr also Partner, Gegner und Publikum.

Es war in meiner Schulzeit. Als einer der Jüngsten in der Klasse war ich zeitweise körperlich etwas hinter den anderen. Beim Sport hatte ich nicht viel zu sagen. Meine Klassenkameraden stemmten irgendein Eisenstück hoch, im Wettbewerb, wer es öfters schaffen würde. Ich musste lange warten, bis ich auch dran kam. Aber mein Ergebnis interessierte sie gar nicht mehr, sie waren schon losgerannt. Ich durfte mich trösten, es noch um einiges öfters als ihr Bester geschafft zu haben. Heimlich nämlich hatte ich meinen Ehrgeiz in Liegestützen investiert.
Ich war also kein offener Angeber wie die anderen. Aber allzu gerne hätte ich es ihnen genauso gezeigt und so bin ich ein Angeber im Stillen geworden.
F.K. Waechter hat es in „Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein“ so witzig gezeichnet.

19.01.08

LAUFEN UND KREBS


Ich höre eine Sendung des WDR Philosophisches Radio von einer Tagung psychosozialen Onkologie vom 19.10.07. Darin: Vielen, die von ihrer Diagnose erfahren, hilft zur Verarbeitung des Schocks ein Gang in die Natur. Die Verarbeitung „passiert häufig bei vielen in der Stille und nicht im Kontakt, häufig auch in der Stille mit sich in der Natur.“ Sie merken: “ich komme zu Ruhe und Kraft, wenn ich mit mir selber bin“.
Also drei wichtige Begriffe: Allein in der stillen Natur.
Es bedeutet einen Rückzug auf einen Bereich, wo man nicht auf andere Menschen und ihre Erwartungen achten muss, wo man seine Gedanken und Gefühlen freien Laufen lassen kann, wo man in der der äußeren Natur die eigene Natur als Teil wiedererkennen kann. Wenn für die Pflanzen und Tiere hier Platz ist, dann kann auch für mich - mein Leben und Sterben - Platz sein.
Umso bedauerlicher ist, dass diese Ruhe- und Rückzugsräume immer mehr zerstört werden durch: Landwirtschaft, Flurbereinigung, Verkehr, Zersiedlung. Manchmal ist es da draußen nur noch schrecklich.

Eine etwas andere Erfahrung mit Laufen in schwierigen Situationen hatte ich. Einige Monate nach meinem ersten Marathon hatte meine Frau auf meinem Rücken einen schwarzen Pigmentfleck entdeckt. Ich ging sofort zum Hautarzt und bekam einen Operationstermin.
Zuerst stellte ich mir die Frage, was diesen „Keim des Bösen“ in mir gesät hatte, wie das ist, sterben zu müssen, wovon ich mich zu verabschieden hätte. Ich machte einen langen Lauf, 30 km. Dabei hatte ich nicht viele Gedanken. Mir wurde nur mein Bettel- und Bedauerzustand bewusst. Betteln um mehr Leben, Bedauern, dass es vorbei sein sollte. Etwa wenn ich einen alten Mann auf einem Fahrrad sah und ich daran denken musste, dass ich sein Alter vielleicht nicht erreichen würde. Aber dann – weiß nicht, warum - ließen beim Laufen die Ängste nach, waren schließlich wie weggeblasen. Der Gedanke blieb, dass ich durchkommen würde. Ich spürte den Willen noch einiges zu erledigen und zu regeln.
Ich fühlte mich zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite dieses Bedürfnis nach Ruhe, Geborgenheit, Stille, Nacht – Tod – andererseits war da Offenheit, Ungewissheit, Unbestimmtheit, Unentschiedenheit, Licht – Leben. (Ich weiß, dass sich das auch umdrehen kann.)
In dieser Zeit waren die langen Läufe Mittel, mit denen ich mich zu dem Moment brachte, wo in mir die mich bewegenden Gefühle aufbrachen. - Was liegt in der Natur, dass sie solche Wirkungen und Kräfte hat? Ich kann es noch nicht befriedigend formulieren.

Dann habe ich mich kundig gemacht über Melanome. Die Prognose war bei solch kleinen Größen relativ günstig. Eine Ungewissheit blieb und ich war nicht frei von Angst. Dachte an den Roman „Mars“ von Fritz Zorn, an eine Tante, die an einem Melanom mit 49 starb.
Die histologische Untersuchung des operierten Stücks ergab dann, dass das Melanom noch nicht gestreut hatte.

Die Verbindung aber von Melanom und Marathon ist nicht zufällig, wie eine
Grazer Untersuchung festgestellt hat. Der Stressfaktor – kommt helle Haut und „Solarerfahrung“ hinzu - dürfte m. E. der entscheidende Faktor sein. Vielleicht bin ich den Marathon zu früh angegangen. In den folgenden Jahren bin ich um einiges mehr gelaufen, ohne dass es mir geschadet hätte, aber ich hatte konditionell bessere Voraussetzungen.

13.01.08

LAUFMOTIV: FREIHEIT


Denke ich zurück an diesen Film über die alten Leute am Strand von Barcelona, fällt mir der Kontrast zu einem Jogger ein, der durch die Gegend trabt. Worin liegt der Unterschied?
Beim Jogger fällt die Unruhe auf, das Dahineilen. Ich selber genieße es, wie ich in relativ kurzer Zeit durch die unterschiedlichsten Landschaften komme, fühle mich in meinem Horizont erweitert. Es ist ein gewisses Macht- oder Eroberungsgefühl, als würde man ein oder sein Revier ablaufen, das man sich auf diese Weise aneignet. Die Grenzen eines eingeschränkten Ichs werden ausgeweitet. Eingesperrt in eine Wohnung, ein Zimmer, in Wände spürt man hier Freiheit. Und Freiheit hat auch etwas zu tun mit Bewegungsfreiheit. Wenn wir uns nicht mehr bewegen können, sind wir eingesperrt. Auch vielleicht eingesperrt in einen schwerfälligen oder behinderten Körper.
Aber ohne Beschränkungen gäbe es nicht dieses Bedürfnis nach Freiheit und Erweiterungen der normalen Grenzen, sei es eines zur Routine gewordenen Lebens oder eines unbefriedigenden Zustands. Als Läufer bewegt man sich in dieser Polarität von Enge und Weite.
Die Enge kann verschiedenes bedeuten: seelische Enge, Angst (lateinisch „angustia“: Enge, „angor“: Würgen), kann räumliche Enge bedeuten, wie im Gefängnis, oder zeitliche Enge eines Terminplans und Aufgabendrucks.

Zuerst dachte ich, das Laufen wäre vor allem ein Phänomen von Kampf und Flucht. Die Kritiker der Läufer reden gerne vom Davonrennen und Davonlaufen, von der Flucht. Womöglich des Läufers vor sich selbst und seinen Problemen. Mag sein, dass Laufen so anstrengend man es auch macht, angenehmer sein kann als Streit, Konflikte oder Langeweile. Aber ich halte Kampf und Flucht nicht für das zentrale Motiv. Sicher, es gibt Hormone, die es auch bei Kampf- und Fluchtsituationen gibt, die Noradrenaline. Auch spielen Angst und Angriffslust eine Rolle. Aber ich halte es nicht für dominant.

Mit dem Runners High ist, wie ich in einem Podcast des SWR („Mythos Sportsucht“) gehört habe, auch nicht viel los. Man konnte nichts von mehr oder weniger Endorphinen durch Laufen nachweisen. Ein möglicher Effekt von intensivem Laufen, so vermuten die Forscher, mag darin liegen, dass das Gehirn sich auf das Laufen konzentrieren muss und mangels Unterversorgung die Gedanken um Probleme des Alltags sein lässt. Das mag Glück bedeuten. Aber es war von intensivem Laufen die Rede. Auch „Laufsucht“ konnte nicht wirklich nachgewiesen werden.

Laufzwang? Vielleicht komme ich mal auf einleuchtende Gedankengänge. Sicher leben wir kultivierten Menschen mit einem notorisch schlechten Gewissen. Wir können nicht gesund genug leben, nicht Leistung genug bringen, nicht nett genug sein. Unsere Ansprüche an uns selbst sind manchmal grausam hoch. Ein bisschen Leiden mag uns ein besseres Gewissen geben.

Mein schlechtes Gewissen habe ich mit einigen Läufen von 12 bis 15 km bei allen Arten von Wetter: Sonne, Regen und Kälte kurzzeitig ruhig gestellt. Ich hoffe, es wird es mir durch Wohlverhalten danken. Wenigstens hatte ich Zeit, darüber nachzudenken, warum ich laufe.

09.01.08

WANDERUNG IN EIN ANDERES SPANIEN II



Zweiter Tag: Eslida – Villamalur (28 km/ +1150 – 850)
An diesem Tag war viel Wandern durch Wälder und manche Abstiege in Dörfchen angesagt.


Anlagen mit leckeren Orangen, blühenden Kirschbäumen. Die Dörfer sind in den 60er Jahren verlassen worden, werden heute als Wochenendresidenzen vernutzt, haben einen geschlossenen alten schönen Kern, aber zerfransen an den Rändern durch moderne Projekte.

Wir lassen uns oberhalb einer Strasse auf 750 Meereshöhe in einer Mandelterrasse nieder. Es wird schon recht frisch in der Nacht. Kein einziges Auto weit und breit.

Dritter Tag: Villamalur – Montanejos (27 km / +300 -800)


Die Landschaft wird weit, man kann schon unser Wanderziel, den Penyagolosa sehen. Ginster weit und breit, Bienenstöcke, Wege für die Feuerwehr – hier haben Waldbrände vor einigen Jahren das Gelände abgebrannt.


Die Zeichen wurden von den Planierraupen weggeschoben und wir verirren uns. Als wir in dem Städtchen unser Ziel, das „Refugio de Escaladores“ suchen, werden wir enttäuscht. Wir sind erst in Montan und es sind noch mal 6 km nach Montanejos.

Also Füße abgelatscht auf der Straße und dann haben wir Glück: trotz Umbauarbeiten bekommen wir einen Campingplatz mit Dusche.
Bei Nacht muss ich aber auf die Toilette, und dazu mangels Intelligenz über einen Zaun springen und hol mir den Hexenschuss des Jahres.

Vierter Tag: Montanejos – Villahermosa (Masia Roncales) (30,7 km / +1080 -980)



Heute wandern wir zuerst hoch, dann wieder runter in ein enges Tal, dann wieder hoch an einem Dorf von Hippies vorbei (Autos, Plastikplanen, vernachlässigte Gärten) und kommen endlich auf eine weite Hochfläche. Der Wind bläst eisig, wir finden keinen gemütlichen Platz zum Essen. Bei einem Kloster, Ermita de San Bartolomé, sehen wir einen Wiedehopf. Als ich ihn fotografieren will, geht die Kamera nicht mehr. Es ist für den Akku zu kalt geworden und ich muss ihn nun immer in der Hosentasche tragen.



Es geht runter nach Villahermosa. Wolken, Wind, Nebel, Regen. Im Dorf, es liegt am Berg, suchen wir nach dem Weg, es ist so steil, dass meine Compañera in der Nässe ausrutscht und auf den Rücken fällt. Nach ein paar mal hin und her und Fragen schlagen wir einen Weg ein, gut für Autofahrer aber nichts für Wanderer. Wir gehen und gehen, es wird immer kälter und dunkler. Endlich zweigt ein Weg in die richtige Richtung ab, aber es ist noch weit bis wir endlich dahin kommen, wo wir wollten. Ein paar Leute kommen uns entgegen, die Besitzer des Hostals Masia Roncales, sie wollen gerade weggehen. Wir hätten uns anmelden sollen, aber wir haben Glück. Und ich verbringe nach Gesprächen am Kaminfeuer eine ungute Nacht, denn der Hexenschuss hat mich nun voll erwischt.




Fünfter Tag: Masia Roncales – Sant Joan de Penyagolosa – San Miquel de Torrocelles (26,9 km / +890 -950)





Ich kann kaum mehr gehen. Mit ASS und Massage komm ich in die Gänge, beim Gehen wird es besser. Zuerst in einem Flusstal mal rechts, mal links, immer höher. Nebel, kalte Winde und düstere Aussichten.

Durchgefroren kommen wir zu dem Ermitorio de Sant Joan de Penyagolosa auf 1300 Meter Höhe. Dort machen wir uns was Warmes. Es gibt meist Kamin und Wasser. Diese Er(e)mitas sind Orte, zu denen an bestimmten Tagen die umliegenden Dörfer wandern, um dort Feste -Romerias - zu feiern.
Den Penyagolosa (1813 m), den magischen Berg der Region, zu besteigen, war angesichts meines Rückens und des ungemütlichen Wetters keine Option. Also wieder langsam bergab. Der Wind holt uns ein - dunkle Wolken.
Es schneit. Und dann wieder blauer Himmel.

In diesem irren Dorf Xodos wieder ein eisiger Sturm. Wir treffen dort eine junge skandinavische Wanderin die nach oben will. Sie ist mit einem Hund unterwegs, der auch ein Rucksäcklein trägt. Wir fragen sie nach dem Weg, sie gibt uns Tipps und wir können ihr welche geben.
Nach einigen falschen Versuchen finden wir den Weg herunter aus dem Dorf. Das Wetter wird jetzt sonnig, bleibt aber kalt. In ganz Europa gibt es einen Kälteeinbruch mit Schnee.


Wir haben nun Weitsicht, strahlende Ausblicke bis ans Meer.



Wieder in einer Eremita campieren wir. Kein guter Tipp an diesem Tag, denn der eiskalte Wind fängt sich in dem Innenhof der Eremita und saust wild im Kreis umher. Der Kocher schafft es kaum, das Wasser zum Kochen zu bringen. Der Betonboden ist verdammt hart, das Zelt wird hin und hergezogen. Am Morgen brauche ich fast eine Stunde, bis ich mich wieder bewegen kann. Es ist so kalt, dass Sitzen keinen Spaß macht.




Der Läufer J.A.Ruiz schreibt in seinem Bericht über diese Strecke: “Dieses permanente steinige Auf und Ab quälen meine Knochen und der Schmerz, den ich durch die Blasen mit mir schleppe, ist unerträglich. Es kommt mir vor, als sollten alle Steine der Provinz mich stechen.“

Sechster Tag: San Miquel de Torrocelles - Bassa de les Oronetes (18 km / +450 -650)
Jetzt wird es wieder wärmer, die Berge sanfter. Ohnehin geht es mehr bergab. Immer wieder blicken wir zurück zu dem magischen Berg.



Es geht durch ein großes Flussbett ohne Wasser, die „Rambla de la Viuda“, dem „Flussbett der Witwe“. Ein Stausee, der davon sein Wasser bezieht, ist am Austrocknen. Auf der anderen Seite dieses „Flusses“ geht es wieder hoch zu unserem letzten wilden Camp auf einer Oliventerrasse. Ein wunderschöner Blick auf das nun mehr und mehr besiedelte Tal. Es ist gut, dass die Provinzregierung verhindern will, dass hier die Landschaft zersiedelt wird. Aber etwas neidisch auf die Besitzer dieser alten und zerfallenden Masias sind wir schon.



Mit gemütlichem Essen wird es diesen Abend und den nächsten Morgen wieder nichts, da es in der Nacht eisig kalt wird.

Siebter Tag: Bassa de les Oronetes – Vilafames – Pobla Tornesa – Benicàssim (29 +8 km / +278 -678)
An diesem Tag weichen wir vom GR 33 ab, um auf direktem Weg wieder nach Benicássim zu kommen. Dazu müssen wir Straßen benutzen. Wir wissen, dass das hart für Füsse und Moral werden wird. Zuerst noch wenig Verkehr, ab Vilafmaes, einer beeindruckenden Stadt auf einem Berg, Lastwagen nach Lastwagen. Ihr Ziel ist die Keramikindustrie um Vilafames bis Pobla Tornesa. Hier ist eine Fabrik neben der anderen und hierher sind damals die Bauern aus den menschenleeren Dörfchen, durch die wir gewandert sind, zum Arbeiten hingezogen.



In Pobla Tornesa können wir endlich die Straße verlassen und wandern über eine breite Kiesstraße hoch zum Mauleselpass Coll de la Mola (537). Oben eine herrliche Aussicht über die Küste von Castelló bis Benicássim. Dann ein weniger amüsanter Abgang durch die Villenviertel der Reichen, in die mit Straßen, Autobahnen, Siedlungen schwer erträgliche Tiefebene. Der Stress des modernen Lebens: Springen von einer Straßenseite auf die andere, Autos ausweichen, stupide endlose Siedlungen. Aber auch wir suchen hier einen Campingplatz und wollen am nächsten Tag über Castelló wieder zurück nach Deutschland.




Auf dem Weg vom Campingplatz bis zum alten Siedlungskern zum Einkaufen gehen wir noch einmal über 8 km, aber ohne Gepäck.
Im Bus muss ich meine Billiglaufschuhe verstecken, nach 1200 km sind sie recht ramponiert und haben ihre endgültige Ruhe verdient
.

08.01.08

WANDERUNG IN EIN ANDERES SPANIEN

Beim Rückblick auf das letzte Jahr sind mir die gewanderten 192 km in Spanien wieder in Erinnerung gebracht worden. Es war das Highlight unseres letzten Jahres und so beeindruckend, dass ich hier darüber berichten muss.
Wir – meine Frau und ich - sind also im März
mit dem Bus nach Spanien nach Castelló, um eine neuntägige Wanderung zu machen. Unsere Kinder mögen solche Qualtouren nicht, finden unser Campieren knauserig und haben es auch sonst nicht so mit der Steinzeit. Also hatten wir freien Ausgang.
Auf dem Buckel war einiges: Zelt (2kg), Schlafsack (1,2) Gaskocher, Isomatten, Kleidung, „Kulturbeutel“, Essvorräte. Je nachdem zwischen 13 und über 20 kg. Aber weniger ging nicht.
Geplant haben wir die Tour per Internet. Da gab es drei große Wanderrouten, die wir teilweise (
GR 7 Montanejos – Sant Joan de Penyagolosa, speziell dieser Teil) oder ganz abgelaufen sind (GR 36 Villavieja – Montanejos) und GR 33 Sant Joan de Penygolosa – Castelló). (Mit ein bisschen Googeln findet man eine Menge Links, allerdings kaum auf Deutsch).
Für Läufer ist die Strecke eine tolle Herausforderung. Einer hat sie in zwei Tagen absolviert: Juan A. Ruiz. Bei unserer Wanderung hatten wir
seinen Bericht dabei.
Der dritte Teil der Strecke, der GR 33 (65km, +2500 m, -1000m) ist die Strecke eines jährlichen Ultramarathons, des „
Marató i mitia“. Nächstes Mal am 10. Mai 2008 um 6 Uhr „morgens“, 30 €.
Wanderkarten zu bekommen ist nicht leicht. Es gibt nur 1:50 000 Karten, die aber nie weit reichen. Sie zu kaufen, dürfte schwierig sein. Google Earth ist zu ungenau, besser der
Visor von Sigpac; mit ihm kann man bis auf 1:5 000 herunterzoomen, Strecken messen.
Zunächst haben wir in Benicàssim campiert, am Meer. Dort gibt es viele Campingplätze. Es ist eine sehr weitläufige Stadtsiedlung. Man kann hier die Verödung Spaniens durch Tourismus sehen. In Castelló gibt es keinen Campingplatz.
Andere Wanderer haben wir kaum getroffen, einige wenige Tageswanderer (5), eine Rucksacktouristin. Nur wenige Autos in den Orten, sonst so gut wie keine. Busse gibt es nicht, vielleicht sind Taxis möglich.
Warum ist dieses Spanien anders? Kein Strand, kein Verkehrschaos, kein Müll überall, keine Bars und Fresslokale, keine Deutschen und keine Engländer, keine Floh- oder Supermärkte. Nur die zerfallenden Überreste einer dörflichen Kultur: Terrassen mit Mandeln, Orangen und Oliven, kleine Landwirtschaften, ein nur an Arbeit reiches Leben. Manch Familien besaßen nicht mehr als eine Terrasse.


Erster Tag: Nules – Villavieja – Eslida (22,6 km/+795 -420)


Zuerst mit Bus nach Castelló, dann mit Bahn nach Nules. Dort fängt unsere Wanderung an. Nach Villavieja (Vilavella) Verirrung durch Mandarinen und Orangenplantagen – hat geschmeckt – geirrt, in Villavieja einige Kilometer vollkommen falsch gelaufen, bis wir endlich im Zentrum oben den Wegweiser mit einer eine guten Karte, gefunden haben. Leider gibt es diese nicht im Internet. Die Tafeln findet man in den Dörfern am Weg, teilweise sehr versteckt. Wir haben sie fotografiert, um im Notfall eine Hilfe zu haben. Der Weg war dann in der Regel gezeichnet, mal mehr mal weniger gut. Vor allem in den Dörfern – dort wird ja ständig gebaut – fehlten die Zeichen. Aber immer wieder gibt es schöne Wegweiser mit Kilometer- und Zeitangaben.
Aber hier ging es richtig los. Zuerst hoch, schöne Aussichten auf die Küste, durch Korkeichenwälder, vorbei an wildem Spargel, Rosmarin. Eine sehr abwechslungsreiche Landschaft, Wege für Maultiere und immer wieder Aussichten auf das Gebirge, die Täler.
In Eslida avisierten wir einen Campingplatz, aber der war geschlossen und wir mussten uns bei anbrechender
Dunkelheit auf einen Berghang verdrücken. Das Abenteuer hatte begonnen.

05.01.08

NOCHMALS HEGEL


Mein linker Knöchel oder was drumherum tut mir kräftig weh, also Massieren mit Olivenöl, Diclofenacsalbe, Hotpack; für 12 km reicht das dann.
Unterwegs spricht mich Hegel an:
„Das mit der „intelligenten Natur“ in deinem Blog von gestern war nicht fair. Das ist doch nichts anderes als „Geist“, wie ich es nenne.“
„Schön, dass Sie sich mit mir unterhalten, alter Herr. Der Begriff mag nicht sehr gelungen sein, aber Natur und Geist sind doch verschiedene Sachen.“
„Korrekt. Aber was dir in den Kopf kommt, Gedanken oder Erfahrung, das hat nur Sinn, wenn es geistig zerkaut und verdaut ist. Wenn du nichts von Vögeln, Steinen und Gräsern wüsstest, würdest du mehr oder weniger blind herumlaufen. Ohne das ordnende Gehirn wäre alles nur Chaos.“
„Ok. Ihr gefräßiger Geist. Aber das ist doch unsere hungrige und leidenschaftliche Natur? Ich glaube Ihr kritischer Schüler
Feuerbach hat das gesagt.“
„Geist ist mehr als das. Neugier, sicher. Aber er geht seine eigenen Wege, orientiert sich nicht an egoistischen biologischen Bedürfnissen, sondern an Allgemeinheit, Wahrheit, Recht, am Absoluten, hat seine eigene Logik. Außerdem welcher Unsinn, die Gesetze dieser Logik aus Natur um uns gewinnen zu wollen.“
„Aber ist nicht der Geist Teil unserer menschlichen Natur?“
„Geist zu haben, das ist seine Natur. Das hab ich doch gesagt.“
„Ja aber wir können unsere Natur nie vollkommen denken. Sie ist das Umfassendere. Wir hinken immer hinterher.“
„Ein Läufer, der von „Hinken“ spricht. - Aber selbst wenn du hinterherlaufen würdest, du könntest trotzdem nicht auf die Gedanken kommen.“
Ich sage: "Widerspruch, mein Herr!" und will an die Rolle von Praxis und Arbeit bei der Erkenntnis erinnern, aber Hegel winkt ab:
„Was diskutierst du mit mir. Immerhin war ich Professor, bin unendlich oft veröffentlicht worden, es gibt Gelehrtengesellschaften mit meinem Namen. Lauf weiter und denk an deine Natur, was dir so alles weh tut und den Kaffee danach.“
Ich rief ihm noch hinterher, wenn ich in die Rente käme, würde ich mir seine „Phänomenologie“ vornehmen – aber da war er schon weg.

04.01.08

LANDSCHAFT III HEGEL: NATURFEIND, KEIN LÄUFER


Beim Laufen höre ich die Aufnahme einer Sendung vom WDR über Hegel. Der war ganz und gar kein sehr sich bewegender Mensch und ganz und gar kein Naturfreund. Auf einer Wanderung mit Freunden in den Berner Alpen 1796 – er war in Bern Hauslehrer – machten er keine positiven Naturerfahrungen: Jungfrau, Mönch und Eiger „erregten nicht das Gefühl von Größe und Erhabenheit“. Die Gletscher bieten „nichts Interessantes“. „Weder das Auge noch die Einbildungskraft finden in diesen formlosen Massen irgendeinen Punkt, auf dem jenes mit Wohlgefallen ruhen oder wo diese Beschäftigung oder ein Spiel finden könnte.“Schlimmer: „Die Natur ist der sich entfremdete Geist.“
Ein paar Sätze mehr aus Hegels Suada: „Die Einheit des Menschen mit der Natur ist ein beliebter wohlklingender Ausdruck. Richtig gefasst heißt er: Die Einheit des Menschen mit seiner Natur. Seine wahrhafte Natur aber ist die Freiheit, die freie Geistigkeit. Die Natur ist wie sie ist. Und ihre Veränderungen sind deswegen nur Wiederholungen.“ „Die Gestalten der Natur sind nur die Gestalten des Begriffs. Die Natur ist vom Geiste gesetzt und dieser das absolut Erste.“ Die Natur ist für den Geist, so Hegel, nur ein Durchgangsstadium. In ihr ist er außer sich und muss zu sich selbst zurückfinden. „Das Naturschöne erscheint nur als ein Reflex als dem Geiste angehörigen Schönen, als eine unvollkommene, unvollständige Weise, die ihrer Substanz nach im Geiste selber enthalten ist. Die Natur hat sich als die Idee in der Form des Andersseins ergeben. Die Natur ist der sich entfremdete Geist.“
Man kann den Kopf schütteln über diesen starrsinnigen Stubenhocker und Weintrinker. Aber ich denke, Hegel hat sich an der Naturtümelei seiner Zeitgenossen gestört, an denen, die immer alles so herrlich und wunderbar finden, was sich in der Natur abspielt, und er fand dagegen polemisierend Natur öde und geistlos. Hegel meint, dass entfremdete Natur zu „unserer“ Natur erst durch die geistige Beherrschung, durch die Kultur, das Wissen um ihre Gesetze und auch die Agrikultur wird. (Bedenkt man allerdings wie heute alles Natürliche und Unkultivierte zerstört wird, um kurzfristig die Kassen zu füllen, dann ist dahinter nicht „Geist“, sondern Geistlosigkeit, asoziale Gier.)
Aber er bedenkt nicht, dass sich unsere Natur - etwa unsere Beine - sich aus dem Verhältnis unserer inneren Bedürftigkeit mit den Realitäten der Natur außer uns herausgebildet hat. Genauso wie unsere Füße durch ihre Anpassung in einem langen Entwicklungsprozess das Gelände erkennen lassen, in dem wir leben, genauso dienen diese Beine verschiedenen inneren Bedürfnissen. Also unser Körper ist eine intelligente Antwort auf unsere Bedürfnisse und die Gegebenheiten der Natur außer uns. Genauso unser Geist, der in der Evolution eine Art von intelligenter Natur ist.
Man kann sich Hegel schlecht als Läufer vorstellen. Der Anstand der Zeit hat maßvolles Verhalten gefordert, ordentliche Bewegung, Gehen, Schreiten, bestenfalls Marschieren. Für die beschleunigte Bewegung waren die Pferde, die Kutsche zuständig. Es galt behäbige Bürgerlichkeit, Image war wichtig, der Kragen, der Anzug, die Tischkonversation. Sich zu Fuß über weite Strecken zu bewegen, war die Angelegenheit von gesellschaftlichen Underdogs, Hirten, Soldaten. Wie etwa bei Johann Gottfried Seume, der 1801/1802 zu Fuß nach Sizilien wandert.
"Es ist wie es ist. Wie Georg Wilhelm Friedrich Hegel zum Philosophen wurde." Feature von Otto A. Böhmer WDR