13.01.08

LAUFMOTIV: FREIHEIT


Denke ich zurück an diesen Film über die alten Leute am Strand von Barcelona, fällt mir der Kontrast zu einem Jogger ein, der durch die Gegend trabt. Worin liegt der Unterschied?
Beim Jogger fällt die Unruhe auf, das Dahineilen. Ich selber genieße es, wie ich in relativ kurzer Zeit durch die unterschiedlichsten Landschaften komme, fühle mich in meinem Horizont erweitert. Es ist ein gewisses Macht- oder Eroberungsgefühl, als würde man ein oder sein Revier ablaufen, das man sich auf diese Weise aneignet. Die Grenzen eines eingeschränkten Ichs werden ausgeweitet. Eingesperrt in eine Wohnung, ein Zimmer, in Wände spürt man hier Freiheit. Und Freiheit hat auch etwas zu tun mit Bewegungsfreiheit. Wenn wir uns nicht mehr bewegen können, sind wir eingesperrt. Auch vielleicht eingesperrt in einen schwerfälligen oder behinderten Körper.
Aber ohne Beschränkungen gäbe es nicht dieses Bedürfnis nach Freiheit und Erweiterungen der normalen Grenzen, sei es eines zur Routine gewordenen Lebens oder eines unbefriedigenden Zustands. Als Läufer bewegt man sich in dieser Polarität von Enge und Weite.
Die Enge kann verschiedenes bedeuten: seelische Enge, Angst (lateinisch „angustia“: Enge, „angor“: Würgen), kann räumliche Enge bedeuten, wie im Gefängnis, oder zeitliche Enge eines Terminplans und Aufgabendrucks.

Zuerst dachte ich, das Laufen wäre vor allem ein Phänomen von Kampf und Flucht. Die Kritiker der Läufer reden gerne vom Davonrennen und Davonlaufen, von der Flucht. Womöglich des Läufers vor sich selbst und seinen Problemen. Mag sein, dass Laufen so anstrengend man es auch macht, angenehmer sein kann als Streit, Konflikte oder Langeweile. Aber ich halte Kampf und Flucht nicht für das zentrale Motiv. Sicher, es gibt Hormone, die es auch bei Kampf- und Fluchtsituationen gibt, die Noradrenaline. Auch spielen Angst und Angriffslust eine Rolle. Aber ich halte es nicht für dominant.

Mit dem Runners High ist, wie ich in einem Podcast des SWR („Mythos Sportsucht“) gehört habe, auch nicht viel los. Man konnte nichts von mehr oder weniger Endorphinen durch Laufen nachweisen. Ein möglicher Effekt von intensivem Laufen, so vermuten die Forscher, mag darin liegen, dass das Gehirn sich auf das Laufen konzentrieren muss und mangels Unterversorgung die Gedanken um Probleme des Alltags sein lässt. Das mag Glück bedeuten. Aber es war von intensivem Laufen die Rede. Auch „Laufsucht“ konnte nicht wirklich nachgewiesen werden.

Laufzwang? Vielleicht komme ich mal auf einleuchtende Gedankengänge. Sicher leben wir kultivierten Menschen mit einem notorisch schlechten Gewissen. Wir können nicht gesund genug leben, nicht Leistung genug bringen, nicht nett genug sein. Unsere Ansprüche an uns selbst sind manchmal grausam hoch. Ein bisschen Leiden mag uns ein besseres Gewissen geben.

Mein schlechtes Gewissen habe ich mit einigen Läufen von 12 bis 15 km bei allen Arten von Wetter: Sonne, Regen und Kälte kurzzeitig ruhig gestellt. Ich hoffe, es wird es mir durch Wohlverhalten danken. Wenigstens hatte ich Zeit, darüber nachzudenken, warum ich laufe.

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