19.01.08

LAUFEN UND KREBS


Ich höre eine Sendung des WDR Philosophisches Radio von einer Tagung psychosozialen Onkologie vom 19.10.07. Darin: Vielen, die von ihrer Diagnose erfahren, hilft zur Verarbeitung des Schocks ein Gang in die Natur. Die Verarbeitung „passiert häufig bei vielen in der Stille und nicht im Kontakt, häufig auch in der Stille mit sich in der Natur.“ Sie merken: “ich komme zu Ruhe und Kraft, wenn ich mit mir selber bin“.
Also drei wichtige Begriffe: Allein in der stillen Natur.
Es bedeutet einen Rückzug auf einen Bereich, wo man nicht auf andere Menschen und ihre Erwartungen achten muss, wo man seine Gedanken und Gefühlen freien Laufen lassen kann, wo man in der der äußeren Natur die eigene Natur als Teil wiedererkennen kann. Wenn für die Pflanzen und Tiere hier Platz ist, dann kann auch für mich - mein Leben und Sterben - Platz sein.
Umso bedauerlicher ist, dass diese Ruhe- und Rückzugsräume immer mehr zerstört werden durch: Landwirtschaft, Flurbereinigung, Verkehr, Zersiedlung. Manchmal ist es da draußen nur noch schrecklich.

Eine etwas andere Erfahrung mit Laufen in schwierigen Situationen hatte ich. Einige Monate nach meinem ersten Marathon hatte meine Frau auf meinem Rücken einen schwarzen Pigmentfleck entdeckt. Ich ging sofort zum Hautarzt und bekam einen Operationstermin.
Zuerst stellte ich mir die Frage, was diesen „Keim des Bösen“ in mir gesät hatte, wie das ist, sterben zu müssen, wovon ich mich zu verabschieden hätte. Ich machte einen langen Lauf, 30 km. Dabei hatte ich nicht viele Gedanken. Mir wurde nur mein Bettel- und Bedauerzustand bewusst. Betteln um mehr Leben, Bedauern, dass es vorbei sein sollte. Etwa wenn ich einen alten Mann auf einem Fahrrad sah und ich daran denken musste, dass ich sein Alter vielleicht nicht erreichen würde. Aber dann – weiß nicht, warum - ließen beim Laufen die Ängste nach, waren schließlich wie weggeblasen. Der Gedanke blieb, dass ich durchkommen würde. Ich spürte den Willen noch einiges zu erledigen und zu regeln.
Ich fühlte mich zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite dieses Bedürfnis nach Ruhe, Geborgenheit, Stille, Nacht – Tod – andererseits war da Offenheit, Ungewissheit, Unbestimmtheit, Unentschiedenheit, Licht – Leben. (Ich weiß, dass sich das auch umdrehen kann.)
In dieser Zeit waren die langen Läufe Mittel, mit denen ich mich zu dem Moment brachte, wo in mir die mich bewegenden Gefühle aufbrachen. - Was liegt in der Natur, dass sie solche Wirkungen und Kräfte hat? Ich kann es noch nicht befriedigend formulieren.

Dann habe ich mich kundig gemacht über Melanome. Die Prognose war bei solch kleinen Größen relativ günstig. Eine Ungewissheit blieb und ich war nicht frei von Angst. Dachte an den Roman „Mars“ von Fritz Zorn, an eine Tante, die an einem Melanom mit 49 starb.
Die histologische Untersuchung des operierten Stücks ergab dann, dass das Melanom noch nicht gestreut hatte.

Die Verbindung aber von Melanom und Marathon ist nicht zufällig, wie eine
Grazer Untersuchung festgestellt hat. Der Stressfaktor – kommt helle Haut und „Solarerfahrung“ hinzu - dürfte m. E. der entscheidende Faktor sein. Vielleicht bin ich den Marathon zu früh angegangen. In den folgenden Jahren bin ich um einiges mehr gelaufen, ohne dass es mir geschadet hätte, aber ich hatte konditionell bessere Voraussetzungen.

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