24.01.08

LÄUFERSTOLZ

Die meisten Läufer sind Wohlfühlläufer. Damit meine ich den Stolz der Läufer. Je nachdem wie sie geartet sind, fühlen sie sich stolz, wenn sie überhaupt gelaufen sind, oder wenn sie eine bestimmte Menge an Kilometer gelaufen oder wenn sie diese vielen Kilometer in einer bestimmten Zeit gelaufen sind. Ich gehöre zur letzten Gruppe. Ich gebe zu, ich bin stolz auf meine Leistung. Ich messe meine Kilometer, es gibt ja (so schön teure) Gerätchen dafür. Aber ich mach es billig: mit dem Rad oder über Google Earth. Über Strecken, die ich laufe, aber nicht gemessen habe, bin ich nicht glücklich. Es zählt nicht, es muss mindestens berechnet werden. Zum Beispiel im Urlaub bin ich Strecken abgerannt, die ich nicht messen konnte. Ich war so unzufrieden, dass ich schließlich die Fliesen auf der Strecke abgemessen, sie gezählt, die Zahl der Fliesen von Lichtmast zu Lichtmast gezählt und so die Strecke hochgerechnet habe.
Wenn schon keiner zuschaut, soll wenigstens mein eitles ÜberIch mit mir zufrieden sein können.
Ohne Uhr zu laufen, das würde ich nur mit höchster Disziplin schaffen. Nehme ich es mir vor, so erwische ich mich doch, wie ich auf die Uhr linse.
Während des Laufens rechne ich ständig den Durchschnitt aus, am Ende lege ich oft noch zu, um den Durchschnitt noch um eine Sekunde schneller zu bekommen. Später juckt es natürlich überhaupt nicht mehr, wie schnell oder langsam ich war. Abgesehen natürlich, wenn es um Bestzeiten, um Wettbewerbe geht.
Im Wettbewerb bildet sich eine Hierarchie mit Stars, guten Läufern und der Masse. Aber schon wenn man überhaupt läuft, zählt man, vergleicht man sich mit der Mehrheit der Sitzenden, Fahrenden, Spaziergänger und Walker, zur Elite.
Obwohl der Läufer also Bewunderung verdienen würde, ist die Resonanz nicht immer die, wie es sein sollte. Der Läufer stört die friedliche Natur, die Weile der friedlich dahin flanierenden Spaziergänger. Manchmal hetzt er und schnaubt wie ein Walross. Manchmal glaubt er zu spüren: Kommt der schon wieder? Hat er nichts Sinnvolleres zu tun? Ist er süchtig? Ist er ein Spinner?
Weil er sich so wenig gewürdigt fühlt oder weil er weiss, dass Nichtläufer ohnehin nicht verstehen, muss er beim Laufen also auch noch sein eigenes Publikum spielen: Der Blick auf die Uhr, die Kilometer. Rennen gegen die Uhr. Die Uhr also Partner, Gegner und Publikum.

Es war in meiner Schulzeit. Als einer der Jüngsten in der Klasse war ich zeitweise körperlich etwas hinter den anderen. Beim Sport hatte ich nicht viel zu sagen. Meine Klassenkameraden stemmten irgendein Eisenstück hoch, im Wettbewerb, wer es öfters schaffen würde. Ich musste lange warten, bis ich auch dran kam. Aber mein Ergebnis interessierte sie gar nicht mehr, sie waren schon losgerannt. Ich durfte mich trösten, es noch um einiges öfters als ihr Bester geschafft zu haben. Heimlich nämlich hatte ich meinen Ehrgeiz in Liegestützen investiert.
Ich war also kein offener Angeber wie die anderen. Aber allzu gerne hätte ich es ihnen genauso gezeigt und so bin ich ein Angeber im Stillen geworden.
F.K. Waechter hat es in „Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein“ so witzig gezeichnet.

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