26.04.08

LAUFZWANG

Einen der Hauptgründe, warum ich laufe, kann ich nur mit Zwang beschreiben. Unter Zwang wird dieser eigentümliche Drang beschrieben, etwas Bestimmtes zu tun, obwohl einem die Gründe nicht so recht einsichtig sind. Man erlebt es fast als etwas Ich-Fremdes, sucht nach Erklärungen und Begründungen und „intelligent“ wie man ist, findet man sie auch. Der Fachmann nennt es „Rationalisierungen“, also nachträgliche Begründungen. Beim Laufen figurieren da: Gesundheit, Glückserlebnisse, Disziplin, sportliche Erfolge, Naturerlebnisse.
Wenn man unter Zwang handelt, stellt sich bei Unterlassung der Handlung Angst ein. Aber das ist zumindest bei meiner Art von „Laufzwang“ etwas anders. Ich würde mich eben weniger wohl fühlen, hätte das Gefühl, versagt zu haben, schwach geworden zu sein, nachgegeben zu haben (in welchem Kampf?), hätte etwas nicht „geleistet“. (Zählen Sportler zu „Leistungsträgern“?). Ich hätte zwar nicht Angst vor einer Strafe oder einer bösen Folge der unterlassenen Zwangshandlung, aber mein Selbstwertgefühl würde doch beeinträchtigt werden. Ich habe von jungen Sportlern gelesen, die durch Krankheit von ihrem Sport abgehalten, regelrecht in Depressionen versunken sind.
Was ist aber dieser Zwang? Um gleich zum Ergebnis meiner Überlegungen zu kommen: Zwang ist der misslungene Versuch, seine Autonomie zu behalten.
Wer zwingt uns? Es ist etwas in uns. Es sind wie auch immer wir selber. Aber es ist ein Teil von uns selbst, der nicht mit unserer übrigen Persönlichkeit verbunden ist. Etwas in uns kämpft gegen etwas an, was uns die Autonomie nehmen will, was uns in Besitz nehmen will.
Was ist das, was uns kapern will? Hier werde ich vage. Innerer Schweinehund, Faulheit, das Gefühl des Unwertseins, das schlechte Selbst, der schwache Mensch? Oder die Überlegenheit anderer Menschen, ihre Stärke, ihr Selbstbewusstsein? Eine innere Schwäche, einem äußeren starken Gegner nachzugeben? Der Kampf gegen eine erlittene Demütigung? (Jetzt wäre eine Analyse der Feinde des Läufers angebracht.)
Der Läufer sieht das anders. Ist er nur lang oder schnell genug gelaufen, ist er zufrieden, fühlt sich bei sich selber, ist stolz, kann sich mit sich identifizieren.
Warum nenne ich den Laufzwang einen misslungenen Versuch, Autonomie zu erhalten? Weil es als Zwang Kampf bleibt. Kampf gegen eigene Kräfte und Energien, statt einen Kompromiss mit ihnen einzugehen oder mit ihnen ein Arrangement zu schließen. Und vor allem weil es als negative Abgrenzung von einem Gegner, einem negativen Selbstbild in dieser negativen Beziehung stecken bleibt.
Das ist jetzt so theoretisch dahingesagt
Den Weg, den ich zurzeit gehe, sieht ungefähr so aus: Wenn ich schon laufen muss, dann will ich es eben möglichst interessant machen. Ich achte auf die Natur, meinen Körper, meine Gedanken und Gefühle, betrachte es als Experiment, Selbsterfahrung. Aber auch als ein Spiel, mit Verwandlung, Fantasie, Bewegung.

22.04.08

REGENLAUF

Das Foto zeigt Bärlauch. 6km weiter weg wird er auf dem Markt für 1.90 € das Bündchen verkauft. Der Wald riecht seinetwegen kräftig nach Knoblauch
Trotz Regen und Unwetterwarnungen bin ich losgezogen, wegen der Nässe ohne Uhr. Bäche waren randvoll mit Wasser, manche schon reißende Flüsse. Weil ein kleiner Fluss über die Ufer getreten war, musste ich eine Strecke die Schuhe ausziehen und barfuß laufen. Die Vögel saßen auf den Leitungen und schienen sich zwischen ihren Flügeln verstecken zu wollen. Auf dem Rückweg hatte sich das Wasser schon auf dem Weg gestaut, nur wenige Zentimeter waren noch zum Laufen frei. Bis auf einen Hundebesitzer habe ich auf den 29 km keinen Menschen getroffen. „Mein“ Hund war klatschnass. Interessant war es schon, die Flüsschen und ihre Überschwemmungsgebiete. (Leider keine Fotos – es war einfach zu nass.)
Am Sonntag sind wir zusammen 19,2 km gelaufen. Tag der Großvögel: Bussarde, Falken, Milan und schöne Kreise drehend ein Storch. Dazu die Alpen in Blau, Dreiländerblick auf ein weites Land, wo viele Platz haben. Gefiel mir besser.

20.04.08

UNGESUNDER GEIST

Im SWR2 Literatur höre ich in einem Podcast eine Besprechung von Murakami Haruki´s Buch „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede“. Vielleicht lese ich es. Es soll keine Mystik des Laufens beschreiben, auch nicht den Zustand „der Leere, in dem ihm endlich einmal so gut wie nichts durch den Kopf geht“, eher Konkretes vom Autor, der selber regelmäßig läuft. Murakami Haruki: „Wenn ich laufe, laufe ich einfach. Normalerweise in einer Leere. Oder vielleicht sollte ich es umgekehrt ausdrücken: Ich laufe, um Leere zu erlangen. Die Gedanken, die mir beim Laufen durch den Kopf gehen, sind wie Wolken am Himmel. Sie kommen und ziehen vorüber.“
Die Leere. Ich kenne sie nicht, kann also nur die Skepsis des Unerfahrenen ausdrücken. Irgendwas ist immer in meinem Kopf, in meinen Augen und anderen Sinnen. Abschalten? Geht das?
Murakami Haruki schreibt. Dabei steige ihm eine Art von Gift hoch, das er mit der durch das Laufen erlangte körperliche Stärke wieder beherrschen könne. Das läuft wohl über die „Leere“ des Kopfes. Mit mechanisch 6-mal in der Woche 10 Kilometer Laufen erzeugt er diese Leere. Aber es sieht wohl eher so aus, dass der Kopf - unterbeschäftigt mit körperlicher Routine – wieder Platz hat für andere als Schreibergedanken. Also wieder zur Realität zurückführt.
Von daher vielleicht sein Spruch: „Mens insana in corpore sano: Ein ungesunder Geist braucht einen gesunden Körper.“

Interessant sein Erlebnis bei einem 100 km-Lauf, wie es
A. Rühle beschreibt: „Bei seinem ersten und einzigen Ultramarathon erlebte Murakami nach Stunden totaler Erschöpfung irgendwann einen jähen „Durchbruch, als wäre ich durch eine Mauer gegangen. Plötzlich merkte ich, dass ich auf der anderen Seite war.” Nicht dass die Erschöpfung oder der Schmerz danach nachließen, dennoch konnte er die letzten 25 Kilometer fast mühelos laufen. Dieses epiphanische Erlebnis wird knapp erzählt – und führt danach überraschenderweise zu einer fundamentalen Laufkrise, ja zu einem lebensumgreifenden Resignationsgefühl.“
Meine Interpretation: das „Durchbrucherlebnis“ zeigt wie Körpergefühl und Ichbewusstsein auseinanderbricht. Der müde Körper will aufhören, der Geist befiehlt das Weiterlaufen. Der Geist siegt und die Verbindung zwischen Körper und Geist zerbricht. Zwar trägt der Körper noch und der Mensch ist in ihm, aber der Körper ist nun nur noch seelenlose Maschine, Sklave ohne eigenes Leben. Er ist vom Partner zum degradierten Opfer geworden. Das Resultat ist ein „lebensumgreifendes Resignationsgefühl“. Ein Beziehungsverlust. Vielleicht auch eine Art von Erfahrung des eigenen Todes.
Statt seinen Körper zu quälen, wäre es wohl besser, freundlich zu ihm zu sein.
Das Foto von der Kirschblüte.

16.04.08

10 KILOMETER

Ich imitiere einen 10 km- Wettkampf. Unterziehe mich der Schinderei, weil ich Anfang Mai einen Halbmarathon rennen will. (Über die Motivation dazu später). Mordsbammel vor dem Rennen. 10 km ist die für mich meistgehasste Strecke, endlos anstrengend, eine Qual. Als mein eigener freundlicher Trainer sage ich mir vorher: es ist unwichtig, ob du es schaffst – 4:16 je km waren mein Ziel – Hauptsache du läufst durch. Irgendeinen Trainingswert wird es schon haben. Abneigung und Schrecken ist so groß, dass mir schon das Herz klopft, wenn ich nur daran denke. Und auch als ich dann losrenne, fängt die Angst, es zu nicht schaffen, sofort wieder an. Ich fühle mich regelrecht gelähmt, hacke die Füße auf den Boden. Der erste Kilometer natürlich zu schnell, der zweite dann wieder zu langsam und so geht es weiter, ich finde keinen richtigen Rhythmus. Sobald ich sage: den Rhythmus kann ich durchhalten, werde ich zu langsam. Also wieder hochdrücken, Füße schneller, den Atem ans Limit. Die Kilometer werden mal länger, mal kürzer, mal beschleunige ich so, dass ich zu schnell bin, dann nach 500 Meter habe ich wieder jeden Zeitvorsprung verloren. Schleim hängt mir im Hals. Am Anfang kann ich ihn noch weghusten, aber gegen Ende habe ich dazu weder Kraft noch Konzentration; ich muss ja rennen. Die Rippen beginnen zu schmerzen, in der Lebergegend fängt Seitenstechen an. Ich forciere das Ausatmen und nach einem Kilometer ist es wieder weg. Ich renne an Leuten vorbei, unterdrücke mein Keuchen. Es muss zu blöd aussehen, wie ich mich überanstrenge. Ein gefundenes Fressen für die Fitnessgegner. Ungefähr zehnmal geht es über Brücken, unter Unterführungen, hoch zu Auffahrten. Jeder Meter hoch geht mir in die Lungen und ich schrei mich an, am Berg bloß nicht langsamer zu werden. Bergab mit Keuchen und dem Gefühl, dass ich bald nicht mehr weiterkann. Aber ich muss diese 10 durchstehen. Wie soll ich sonst den Halbmarathon schaffen.
Das erste Drittel ist schwer. Bis zur Hälfte bin ich natürlich schon geschafft. Aber ich sage mir: danach bin ich über dem Berg. - Pustekuchen! Und dann wieder die ganzen scharfen Kurven, glitschiges Gelände. Endlich die letzten 3 Kilometer. Jetzt nur noch leiden, ständige Kommandos an mich, das Tempo zu halten. Check bei jedem Kilometer. Rechnen, das geht gerade noch. Die ersten Kilometer konnte ich noch die Schritte zählen, eine alte Gewohnheit bei schnellen Tempoläufen. 360 rechte Schritte sind ein Kilometer, die Hälfte bei 180, nach 90 habe ich schon ein Viertel. So lässt es sich eher durchstehen. Aber dann verlier ich die Übersicht, irgendwelche idiotischen Zahlen rasseln durchs Gehirn - in der Gehirnkiste sind wohl einige Schrauben locker, aber Hauptsache, die Beine laufen. Beim letzten Kilometer knapp im Limit. 200 Meter vor meinem Ziel – ein Klebkraut auf dem Weg – noch 2 Hunde. Hoffnung, dass ich nicht ihren Jagdtrieb wecke. Wo sind die Besitzer? Aber sie sind von der ruhigen Art. Noch ein leichter Anstieg. Ich gebe mein Letztes, jetzt wirklich an der Grenze: 42:36. - Wie ich doch diese 10 Kilometer hasse.

12.04.08

RUNNERS HIGH

Ja, ja die Endorphine. Das ist auch so ein Mythos für Gläubige. Von einer deutschen Universität wird er jetzt wieder aufgetischt. Ich lese in einer englischen Zeitung, in Bonn wäre nachgewiesen worden, dass Endorphine an den Opiatrezeptoren im Gehirn, hauptsächlich Fronthirn und limbischer Region, andocken. Die nach dem Laufen erlebten Effekte reichen von Ruhe, Euphorie bis gehobenem Gefühl.
Leider wird nicht gesagt, wie lange (und schnell) gelaufen wurde und ob nicht die Lösung einer schwierigen Matheaufgabe das gleiche Gefühl auslöst. Ein Grund, Sport zu treiben, ist das jedenfalls nicht. Meine euphorischsten Momente beim Laufen habe ich erlebt, als ich zum ersten Mal 16 km gelaufen bin. Meine ersten 6 km, glaube ich, waren auch schon ganz toll. Nachdem ich nach drei Jahren endlich mein Marathonziel von unter 3:15 erreicht habe, war ich zufrieden, aber ich habe schon glücklichere Momente erlebt – ohne Sport.

Jetzt gibt es aber noch eine fiese Variante der Endorphintheorie. Danach werden die Endorphine, diese Glückshormone, erst bei einem Laktatwert von über 4 mol/l, also im anaeroben Bereich, ausgeschüttet. Nichts für Dauerläufer. Deswegen eine teuflische Spirale: Der Runner erlebt sein High, (bei über 4 mol/l), will es wieder erleben – macht ja süchtig. Da aber im anaeroben Bereich, überfordert er sich – Folge: Übertraining und noch mehr Sportsucht. Der
„Sportpsychologe“ kann nur warnen: Laufen macht süchtig!
Andere
Untersuchungen konnten jedoch überhaupt keinen Zusammenhang zwischen Endorphinen und speziellen Erlebnissen finden.
Ich denke, dass jeder Anfang, jede neue Entdeckung, jeder Erfolg nach viel Arbeit und Anstrengung uns glücklich machen können. Je öfter man aber etwas wiederholt, desto mehr verliert es seinen Reiz. Deswegen entwickeln wir uns ständig weiter und setzen uns neue Ziele.

08.04.08

„LAUFNEBENWIRKUNGEN“ – „Sportarzt“

Es gab da einen Podcast im WDR5 „LebensArt“ über Laufen und Nebenwirkungen. Interessant? Für mich, die Tatsache, dass beim Vorfußlauf (auch barfuß) und Laufen mit langen Schritten die Achillessehne stärker belastet wird.
Aber sehr witzig fand ich den immer wiederkehrenden Rat der Moderatorin, man solle unbedingt bevor man joggt oder bei Problemen den Arzt, am besten einen Sportarzt, aufsuchen,.
Also „
Sportarzt“, ist eigentlich ein „Arzt mit besonderer sportmedizinischer Ausbildung oder Kenntnissen (in Deutschland mit Diplom des Deutschen Sportärztebundes)“.
Wer glaubt, dass 90 Stunden, davon die Hälfte Praxis (Tennisspielen?), qualifizieren, kann sich ja gerne an einen solchen wenden. Glaube hilft ja bekanntermaßen. Ich wundere mich über starke Vermehrung dieser Ärzte, habe ja auch schon einige gequert. Na ja- ich glaube eher an Internet und Wikipedia als an Sportärzte.
Vor kurzem erschien eine
Untersuchung, die bei älteren Marathonis vermehrt Vernarbungen und Kalkablagerungen am Herzen festgestellt hat. Dabei wurde gesagt, dass für eine gute Diagnostik ein Belastungs-EKG/Ultraschall mit Maximalpuls notwendig wäre. Den Arzt würde ich gerne kennenlernen, der das macht.
Ärzte, die ich weiterempfehlen kann, sind Hautärzte. Die waren zu 80% ok. Aber sie werden bei orthopädischen Problemen wohl kaum weiterhelfen.

28 km gelaufen, flott. Nebenwirkung: Strecker am Oberschenkel streiken.

03.04.08

LAUFEN UND MAGERSUCHT

Anfang der 70er Jahre habe ich zum ersten Mal Magersüchtige erlebt, die um ihr Gewicht zu senken, stundenlang im Park getrabt sind. Laufen war in diesen Zeiten noch gar nicht „in“. Und Thomä beschreibt schon 1961 das Gefühl, das Magersüchtige beim Laufen erleben, als „ichferne Bewegungslust“, mit „kosmischer Hingabe an den Wind“ und Sinnesempfindungen, „die beim Schwimmen im Wasser empfunden werden“. Und auch mein Gaiaerlebnis lässt sich als eine Art von archaischer Beziehung beschreiben: einerseits der Wind, der die Haut streichelt, die Sonne, die wärmt und noch viele Empfindungen mehr. Andererseits der Läufer, der mit seinen Augen und Beinen die Natur berührt, ihr Aufmerksamkeit entgegenbringt. Diese wechselseitigen Zärtlichkeiten spielen sich auf einem vorsprachlichen Niveau ab, verweisen auf eine ursprüngliche Beziehung mit der Hoffnung auf Geborgenheit und Verbundenheit. Die Rede ist auch von einem „ozeanischen Gefühl“; nämlich aufzugehen in einem großen und umfassenden Universum.
Was hat das mit der Magersucht zu tun? Ich lege es mir so zurecht [würde aber zuerst auf die Erforschung der Empfindungen, Gedanken, Fantasien und auch Träume der Betroffenen selbst verweisen]: Beim Laufen handelt es sich um eine Art von Beziehung zu einem Gegenüber, das menschliche (etwa mütterliche) Züge ohne scharfe Konturen hat, so dass es Raum für individuelle Sehnsucht und Wunschbilder bietet. Etwa das Meer, das Gebirge, die Prärie, die weiten Ebenen usw. Der weite Raum steht im Gegensatz zu konkreten Personen mit ihrer Begrenztheit und ihren Begrenzungen, etwa der Familie usw.
Der Größe dieses Gegenübers kann man nur gerecht werden, indem man sich ganz klein, leicht macht, sich zum Verschwinden bringt. Die Fantasie dieses Großen und Grandiosen wird aufrechterhalten durch die Selbstverringerung bis hin zur Selbstaufgabe, Selbstaufopferung.
Das ist es im Extrem. Aber jeder Läufer kennt das:
- die Wahrnehmung von Wind und Wetter auf der Haut
- Wahrgenommenwerden, Beachtung von anderen
- Die Konzentration auf den eigenen Körper
- Das Verlangen nach Harmonie mit der umgebenden Natur.