04.01.08

LANDSCHAFT III HEGEL: NATURFEIND, KEIN LÄUFER


Beim Laufen höre ich die Aufnahme einer Sendung vom WDR über Hegel. Der war ganz und gar kein sehr sich bewegender Mensch und ganz und gar kein Naturfreund. Auf einer Wanderung mit Freunden in den Berner Alpen 1796 – er war in Bern Hauslehrer – machten er keine positiven Naturerfahrungen: Jungfrau, Mönch und Eiger „erregten nicht das Gefühl von Größe und Erhabenheit“. Die Gletscher bieten „nichts Interessantes“. „Weder das Auge noch die Einbildungskraft finden in diesen formlosen Massen irgendeinen Punkt, auf dem jenes mit Wohlgefallen ruhen oder wo diese Beschäftigung oder ein Spiel finden könnte.“Schlimmer: „Die Natur ist der sich entfremdete Geist.“
Ein paar Sätze mehr aus Hegels Suada: „Die Einheit des Menschen mit der Natur ist ein beliebter wohlklingender Ausdruck. Richtig gefasst heißt er: Die Einheit des Menschen mit seiner Natur. Seine wahrhafte Natur aber ist die Freiheit, die freie Geistigkeit. Die Natur ist wie sie ist. Und ihre Veränderungen sind deswegen nur Wiederholungen.“ „Die Gestalten der Natur sind nur die Gestalten des Begriffs. Die Natur ist vom Geiste gesetzt und dieser das absolut Erste.“ Die Natur ist für den Geist, so Hegel, nur ein Durchgangsstadium. In ihr ist er außer sich und muss zu sich selbst zurückfinden. „Das Naturschöne erscheint nur als ein Reflex als dem Geiste angehörigen Schönen, als eine unvollkommene, unvollständige Weise, die ihrer Substanz nach im Geiste selber enthalten ist. Die Natur hat sich als die Idee in der Form des Andersseins ergeben. Die Natur ist der sich entfremdete Geist.“
Man kann den Kopf schütteln über diesen starrsinnigen Stubenhocker und Weintrinker. Aber ich denke, Hegel hat sich an der Naturtümelei seiner Zeitgenossen gestört, an denen, die immer alles so herrlich und wunderbar finden, was sich in der Natur abspielt, und er fand dagegen polemisierend Natur öde und geistlos. Hegel meint, dass entfremdete Natur zu „unserer“ Natur erst durch die geistige Beherrschung, durch die Kultur, das Wissen um ihre Gesetze und auch die Agrikultur wird. (Bedenkt man allerdings wie heute alles Natürliche und Unkultivierte zerstört wird, um kurzfristig die Kassen zu füllen, dann ist dahinter nicht „Geist“, sondern Geistlosigkeit, asoziale Gier.)
Aber er bedenkt nicht, dass sich unsere Natur - etwa unsere Beine - sich aus dem Verhältnis unserer inneren Bedürftigkeit mit den Realitäten der Natur außer uns herausgebildet hat. Genauso wie unsere Füße durch ihre Anpassung in einem langen Entwicklungsprozess das Gelände erkennen lassen, in dem wir leben, genauso dienen diese Beine verschiedenen inneren Bedürfnissen. Also unser Körper ist eine intelligente Antwort auf unsere Bedürfnisse und die Gegebenheiten der Natur außer uns. Genauso unser Geist, der in der Evolution eine Art von intelligenter Natur ist.
Man kann sich Hegel schlecht als Läufer vorstellen. Der Anstand der Zeit hat maßvolles Verhalten gefordert, ordentliche Bewegung, Gehen, Schreiten, bestenfalls Marschieren. Für die beschleunigte Bewegung waren die Pferde, die Kutsche zuständig. Es galt behäbige Bürgerlichkeit, Image war wichtig, der Kragen, der Anzug, die Tischkonversation. Sich zu Fuß über weite Strecken zu bewegen, war die Angelegenheit von gesellschaftlichen Underdogs, Hirten, Soldaten. Wie etwa bei Johann Gottfried Seume, der 1801/1802 zu Fuß nach Sizilien wandert.
"Es ist wie es ist. Wie Georg Wilhelm Friedrich Hegel zum Philosophen wurde." Feature von Otto A. Böhmer WDR

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