03.10.08

NATUR UND SPIRITUELLE ERFAHRUNG

In einer Sendung des Schweizer Rundfunks DRS 2 Reflexe gab es einen Podcast über Landschaftserfahrung. Diskutiert wird darin eine Umfrage, bei der 41 Prozent der Schweizer in Natur einen Ort der Spiritualität sehen, dagegen nur 14 Prozent die Kirche. (In der Suisse Romande sind es übrigens nur um 20 Prozent, für die Natur Ort spiritueller Erfahrung ist.)
Was ist aber spirituelle Erfahrung in der Natur? Bei der Diskussion fallen Begriffe wie die Erfahrung von sich selbst in einem größeren Zusammenhang, der Identifikation mit der Natur, der Natur als übergreifenden lebenden Organismus, als Äußerung göttlicher Schöpfung. Es ist also nicht nur eine Erfahrung der eigenen Person, sondern es geht um eine Identifikation, vielleicht sogar Verschmelzung mit der umgebenden äußeren Natur.
Aber diese Identifikation, etwa in dem Gefühl, dass wir ein Teil dieser Natur sind, ist nur eine Fantasie, ein Wunsch. In Wirklichkeit sind wir außerhalb der Natur, ihr gegenüber fremd. Sie ist keine Person, kommuniziert nicht mit uns, wir sind ihr gleichgültig. Auch wenn wir selber Natur haben.
Was wird nun auf die Natur projiziert? Es gibt bei den sogenannten „spirituellen“ Erfahrungen zwei ineinander übergehende Typen: Entweder ist es die Erfahrung eines Großen Anderen oder das eigene Selbst verschmilzt mit der Umgebung; das wäre dann die Erfahrung der eigenen Größe und Bedeutung.
Die meisten Menschen haben wohl dann ein intensives Naturerlebnis, wenn sie das Gefühl einer Zugehörigkeit zu der sie umgebenden Natur empfinden. Dann wird die ansonsten fremde Umgebung zueigen gemacht, sie gehört, wenn auch nur wenige Momente, dem Wanderer oder Läufer allein. Auf der Höhe eines bestiegenen Berges „erschließt“ oder öffnet sich die Landschaft und es ist wie eine vorübergehende Besitznahme.
Solche Erfahrungen sind vorübergehend. In der Regel ist der Wanderer, der Läufer, der Entdecker Fremder und erlebt sich als getrennt von der Natur. Die Heimatlosigkeit hat ihn ausziehen lassen. „Fremd bin ich ausgezogen, fremd kehr ich wieder heim“ heißt es in einem meiner
Lieblingslieder. Die fremde Landschaft muss erlaufen, erobert, angeeignet werden. Das, was nach dem Lauf hinter uns liegt, geht wieder verloren.
Läuft man die immergleiche Strecke, hat das wohl zwei Gründe, zum einen erleichtert es die Konzentration auf sich selbst, die eigenen Gedanken und Gefühle, zum anderen ist es eine Art von Kontrolle eines imaginären Landbesitzes. Ihn mit anderen teilen zu müssen mag angenehm oder ärgerlich sein.
Kann man mit anderen Menschen eine spirituelle Naturerfahrung teilen?
Selten hat man die gleichen Stimmungen und Einstellungen. Naturerfahrungen sind in der Regel individuelle Erfahrungen vereinzelter Menschen. Erlebnisse von Gemeinschaft sind ganz anderer Art. Sie verbinden.

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