02.09.08

DER LÄUFER ALS CARDIOMASCHINE

Bei einem Trainingslauf mit meinem angepeilten Marathontempo nehme ich den Brustgurt für die Pulsuhr und stelle fest, dass ich im Durchschnitt bei Hf 166 laufe. Nach der Formel für die richtige Herzfrequenz
Hf = 20 + 0,8 Maximalpuls – 0,15 Lebensalter
müsste ich bei ca. 156 laufen. Also ist mein vorgesehenes Tempo zu schnell. Deswegen nehme ich am übernächsten Tag noch einmal die Uhr und versuche bei Hf 156 einige Kilometer zu laufen. Das Ergebnis ist, dass ich 4 Sekunden langsamer laufen müsste.

Das Beispiel zeigt, wie ich den Körper berechenbar wie eine Maschine machen will. Als ich zu laufen angefangen habe, war mit ein Grund die Sorge um Herz und Kreislauf. Ich habe oder hatte Angst, dass mein Herz und Kreislauf träge werden und irgendwann Probleme machen. Um dem vorzubeugen, müssen diese Organe wie eine Maschine gewartet und gepflegt werden. „Use it or loose it“ heißt es in der allgemeinen Propaganda fürs Laufen. Cardiotraining wird gefordert. Also werden die Herzmuskeln trainiert, die Blutgefäße in Schuss gehalten. Ist die Pumpe so stark genug, kann sie Attacken leichter bewältigen.
Hier also wieder die Maschinenvorstellung vom Körper.

Ganz anders die romantischen Vorstellungen über das Herz in den Jahrhunderten vor uns:
„Was hat es, daß es so hoch aufspringt,
Mein Herz?“ So Müller in der „Winterreise“

Der fahrende Gesell singt bei Mahler:
„Ich hab' ein glühend Messer,
Ein Messer in meiner Brust,
O weh! Das schneid't so tief
In jede Freud' und jede Lust.“

Das Herz drückt hier in seinen Bewegungen seelische Empfindungen aus. Es bewegt sich zwar nicht unbedingt im Gegensatz zum Verstand, aber anders als der Verstand ist es an menschlichen Beziehungen orientiert, öffnet sich diesen großherzig oder verschließt sich ihnen. Es ist ein Symbol für Liebe und Freundschaft. Es wird durch Schmerz und Trauer zerrissen und gebrochen. Es kann kalt werden, wenn es wie in dem Märchen von Hauff, nur noch um materielle Vorteile geht. Es kann sich verschließen zu einer Mördergrube. Es klopft schwer in Angst und steht still vor Schreck, es gerät aus dem Takt.

Ob nicht Cardiotraining das Gefühlsleben unter Kontrolle bringen soll?

Hypothese: Aktivieren durch Tempo, bremsen durch Hf-Messung. An die Stelle der Erregung in Beziehungen durch Wut, Angst, Mut und Initiative kontrollierte Coolness. Innere und äußere Natur tritt als imaginäre und diffuse Bezugsperson an die Stelle einer realen. Rückzug aus beängstigenden, erregenden und riskanten Beziehungen. Der Herzinfarkt als logische Folge einer sozialen Kränkung und Verletzung.

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