15.06.09

„GESUNDHEITSWAHN“

Ich habe zufälligerweise – denn den Mann kenne ich nicht – einen Podcast über einen schriftstellernden Biologen gehört. In einem Interview outet er sich als Antisportler. Interessant, was da an Ressentiments aufgewaschen wird. Der Biologe Midas Dekkers, angeblich Autor vieler populärer Werke, schreibt über den „Gesundheitswahn“. In einem Interview erklärt er, 50% aller Niederländer würden Sport treiben, Joggen usw. – Bei meinem letzten Langlauf bin ich keinem Einzigen dieser 50% begegnet. „Ja, wo laufen sie denn??!!“ möchte man da in Erinnerung an Loriots Sketch fragen.
Also wissenschaftliche Erfahrung ist von ihm nicht zu erwarten. Er bewegt sich auf dem Niveau einer Meldung von jüngst, ein Drittel der Deutschen wären Sportmuffel. Die anderen gucken wohl alle Bundesliga oder Tennis.
Sicher hat er Recht, wenn er gegen diese Formal „mens sana in corpore sano“ anschreibt. Ursprünglich ironisch-satirisch gemeint, wurde der Satz zum Folterinstrument von Sportlehrern und Militaristen. Ein kleiner
Artikel in Wikipedia hätte gereicht das klarzustellen. - „Mens“ mit Geist gleichzusetzen ist ohnehin sehr verkürzt. Sollte der Satz einen positiven Sinn ergeben, wäre damit eher: Gemüt, Lebenseinstellung, Haltung gemeint; also eine Haltung, mit der man auf die Dinge zugeht, sie konkret betrachtet, Widerständen nicht aus dem Wege geht, sich bewegt, statt andere für sich arbeiten lassen.
Dekkers geht ein interessantes Problem an, das von Körper und Geist. Der Geist, so Dekkers, will sich zum Tyrannen des Körpers machen. Der Körper ist faul, der Geist will aktiv sein. Das ist schon eine merkwürdige Vorstellung. Er widerruft sie auch wieder sofort, wenn er davon spricht, wie ihn es nach Stunden Schreibarbeit juckt, spazieren zu gehen - wenn auch nur mit einer Speed von 5 km/h. Aber Argumente sind ihm wichtiger als ihr letztendlicher Wahrheitswert.
Mit dem Körper kann er aber sonst nicht viel anfangen, der trinkt eben gerne und ist sexfixiert. „Das Gehirn ist der Inhalt, der Rest nur Verpackung.“ Der Geist materialisiert sich im Gehirn, nicht in den Körperteilen. Hawkins ist/ war auch im Rollstuhl intelligent. Und eine Dame, die ein Buch im Park liest, hat mehr vom Leben als der Jogger, der darin seine stupiden Runden dreht. Überhaupt Sport und Arbeit verkürzt das Leben, während Bildung das Leben verlängert und – nicht unwichtig – das Einkommen verbessert.
Und dann: Der Sinn des Lebens ist, das Wissen für die nächsten Generationen zu erhöhen. Wer einen Weltrekord läuft, macht es der nachfolgenden Generation nur schwerer, besser zu werden. Damit ist außer Krankheiten, die man sich beim Sport einholt, nichts gewonnen. Aber ist es der Sinn des Lebens, das Wissen zu vermehren? Ist Wissen der richtige Zugang zur Welt? Man hört hier Comte und seine positive Religion heraus.
Sport und Religion: Die Leute haben Schuldgefühle, deswegen quälen sie sich. Er lobt seine katholische Erziehung, die ihm ein „gemütliches“ Verhältnis zum Körper und Ritualien geschenkt hat, mit der er als Kind seine Schuldgefühle loswerden konnte.
Überhaupt macht Sport krank. „Die Hälfte der Sportler macht sich einmal im Jahr kaputt“. Würde man den Satz jetzt mathematisch durchrechnen, wäre das Heer der Sportler von 50% nach 4 Jahren bei 3,125%. Vielleicht eine realistischere Zahl.
Der Körper besteht aus Muskeln, Sehnen und „Knöcher“. Nur die Muskeln ließen sich verbessern, die anderen würden durch Sport nur verschlissen. Auch hier sieht man wieder: Wissenschaft interessiert ihn nicht; was zählt, ist das billige Argument.
Sport ist kindisch: in bunten Klamotten herumlaufen, kurzen Hosen, hüpfen und springen – dem kann Dekkers nichts abgewinnen. Er war, wie er sagt, „immer vernünftig“. Als Kind hat er sich nach der Schule einen weißen Mantel angelegt und Professor gespielt. Er wollte immer nur erwachsen spielen und das ist ihm wohl mit seinem neuen Buch wieder
gelungen.
Schade, schon wieder ist kein gutes Buch geschrieben worden.

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