17.02.08

KAMPFLAUFEN

Wenn ich laufe, sehe ich meistens vier verschiedene Typen: Hundebesitzer, Walker mit Stöcken, Walker in Gruppen. Was auffällt, ist dass sie sich recht bewaffnet geben. Die einen mit Stöcken, die anderen mit Hunden, die anderen treten in kompakten Gruppen auf. Einzelne Wanderer sind selten, bestenfalls in Paaren. [Ich rede jetzt nicht von denen, die sich mit Stoßstangen bewegen.] Aber auch die Jogger geben sich nicht harmlos; sie zeigen, dass sie flink sind, nicht so leicht anzugreifen, nicht ganz berechenbar, etwas zwischen Jäger und Gejagten.
Sich draußen aufzuhalten ist vielleicht eine nicht ganz ungefährliche Sache. Da zeigt man vielleicht besser seine Stärken. Ist man von Feinden umgeben? Und rüstet deswegen auf?
Nicht dass ich meine, dass es ein krankhaftes Verhalten von Einzelnen wäre. Aber es sagt etwas über unsere Beziehungen aus. Der öffentliche Raum ist potentiell gefährlich. Man kann angegriffen und kritisiert werden. (Aber auch auffallen und gefallen). Auch ein Raum von Konkurrenz, in dem man sich miteinander misst und vergleicht, sich unter- und überlegen fühlen kann.
Wenn man sich draußen bewegt, macht man sich angreifbar. Je angreifbarer wir uns fühlen, desto mehr rüsten wir auf: mit Stoßstangen, Stöcken, Hunden, Geschwindigkeit. Es bildet sich eine Hierarchie. Unten sind die einsamen Spaziergänger, die verträumt oder depressiv umhergehen. Bei alten Leuten akzeptiert man es, bei jungen stellt man Fragen.

Ich weiß nicht, wodurch es soweit gekommen ist. Ich vergleiche die Kindheit früher und heute. Früher konnten sich Kinder frei bewegen, von Schule nach Hause, in der Nachbarschaft. Zumindest ich kenne das so. (Meine Mutter musste mich immer wieder suchen). Heute sind die Wege der Kinder streng reglementiert. Besuche nur nach Einladung und Voranmeldung. – In manchen Ländern können sich Kinder fast gar nicht mehr frei außer Haus bewegen. Die Eltern haben Angst. Sie fantasieren eine Welt von Kindesentführern, Exhibitionisten, Vergewaltigern und Räubern.
Ursache? Verstädterung, Verkehr, wachsende Ungleichheit unter den Menschen?

Hier gab es einen kleinen Park mit Bänken, Büschen, Ecken, wo man sich verstecken konnte. Jetzt wurde er umgebaut. Jede Stelle ist von allen Seiten einsehbar, die Bänke – aus Maschendraht - haben keine Lehnen mehr, es gibt ein Cafe (für die Eltern, das Wachpersonal, das elterliche Wachpersonal?) Die Schmutzecken aus Wasser und Sand sind verschwunden.
Auch auf den Bahnhöfen kann man sehen, wie der Aufenthalt möglichst unbequem gemacht werden soll.

Ein Paradies gibt es nicht, gab es vielleicht auch nie. Aber vielleicht sollte man sich bewusst sein, was verloren geht, in welchem sozialen Fluidum, welchem Gefühl man sich bewegt. – Und das man erzeugt durch die Art, wie man sich bewegt.

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