23.12.07

LANDSCHAFT II: DIE ALTEN AM STRAND IN BARCELONA


Ein sehr schöner und weitaus besserer Film („Morgen am Meer“) zeigt alte Leute, die sich das ganze Jahr, auch im Winter, am Strand bei Barcelona aufhalten, sich dort treffen, spazieren gehen, baden, ins Meer schauen. Der Film verzichtet im Gegensatz zu dem vorher beschriebenen auf Geschwätz („Der schönste Garten“, „perfekt“ usw.) und permanente Schnitte, die jede übersichtliche Sicht verunmöglichen, die die Ruhe verhindern, von der pausenlos geplappert wird.Man sieht und hört hier also die alten Leute, wie sie am Meer sitzen, singen, manchmal sprechen und aufs Meer schauen.
Strandaufenthalt soll ja ziemlich dumm machen; der Intelligenzquotient sinkt nach einem mehrwöchigen Strandaufenthalt signifikant ab. Warum? Die Beweglichkeit ist reduziert, man hängt müde rum, denkt nur noch an Fressen und Trinken, die Dialoge, die man so mithört sind stumpfsinnig („Man spricht deutsch“ von Polt). Die Gedanken gehorchen nicht mehr der üblichen Disziplin, sie „vagabundieren“ (übrigens wie beim Laufen, wo sie ja auch ihre eigenen Wege gehen). Die Gedankenstreunerei geht keine nützlichen Wege. Es ist eine Freiheit, die aber nicht mehr zur praktischen Tat wird.Die alten Leute schauen aufs Meer. Was zieht sie da so an? Dieser Strand in Barcelona, wie meist wohl auch anderswo, ist einfach hässlich. Künstlich angelegt, Blick auf Straße und Verkehr, slumartige Ecken, gradlinige Strandbefestigungen. Die gerade Linie ist ohnehin Feind von Fantasie und Leben. Was von der Natur bleibt, ist Abwechslung durch die Jahreszeiten, Regen, Wärme, Kälte, Sonne, Wind und Wellen, das Kommen und Verschwinden der Badegäste.
Was aber macht das Meer so faszinierend? Ist es das Gefühl von Grenzenlosigkeit, unendlicher Weite? Vermittelt das Meer ein Gefühl von Fülle – man denke nur an diese Weite von Ebenen, Gebirgen und Tiefen, den zahlreichen Unterwasserlebewesen? Symbolisiert das Meer Leben - oder Tod? Doch da, wo das Wasser das Symbol des Todes ist, ist es eine Gestalt des Vergessens, des Aufgenommenwerdens, des in etwas Größeres Übergehens, der Auflösung des Ichs in etwas Universellem. Deswegen auch die Seebestattung bei manchen Menschen. Aber gleichzeitig ist das Wasser Symbol des Lebens, so wie es sich bewegt, wie es Rhythmen hat – in Wellen und Gezeiten – und wie es Grundlage aller Lebewesen ist.
Wenn die alten Leute sich also am Meer aufhalten, hat das also auch seinen Grund darin, dass sie mit dem mitleben, was sie sehen: dieses lebendige Meer, mit dem, was in ihm leben könnte und mit dem, was außerhalb ihrer begrenzten Existenz existiert als Unendliches und Grenzenloses. Daneben mögen ihre Gedanken zu Erinnerungen gehen, die mit dem Strand verbunden sind: die toten Ehepartner, die Familie und Freunde, die weg sind, vielleicht auch das Leben, wie es sich in seinen Möglichkeiten im Laufe des Lebens mehr und mehr begrenzt hat. Eine alte Frau in dem Film schleppt sich mühevoll mit Krücke ins Wasser, um dort ihre Schwerfälligkeit zu verlieren und vom Wasser getragen zu werden. Sie fängt an zu singen.
Natürlich spielen auch die menschlichen Beziehungen am Strand eine Rolle. Aber obwohl zueinander freundlich, rücken sie sich nicht allzu sehr auf die Pelle. Ist einer gestorben, erfahren sie das bestenfalls aus der Zeitung.
Der Tod ist genauso gegenwärtig wie das Meer. Das Meer scheint das Geheimnis des Lebens zu enthalten, auch das ihres Lebens.
Ich selber, obwohl ich das Meer faszinierend finde – heiße Tage etwa am Strand von Duhnen - möchte nicht an einem solchen Strand wie Barcelona meine letzten Tage verbringen. Der Meeresstrand kann sicher eine großartige Landschaft sein, aber ich will nicht versinken und vergessen. Ich möchte mich bewegen, weiter Erfahrungen sammeln, Hindernisse überwinden, dazulernen.

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